Schlagzeug zu Weihnachten, bitte!

One, two, one two three: Die Dortmunder Agentur RockSie veranstaltet Musik-Workshops für Mädchen und Frauen. Das Prinzip: Ausprobieren lassen, vielleicht wird ja mehr draus. Warum tun sich Frauen aber eigentlich immer noch gerade da schwer, wo's laut wird?  ■ Von Elke Buhr

RockSie. Doofer Name irgendwie, stöhnte die taz mal unterm Strich. Und meldete widerstrebend, daß es das jetzt gibt: Musik-Workshops nur für Mädchen und Frauen und eine Agentur speziell für Bands mit nennenswertem Frauenanteil. Klar: RockSie klingt unhip. Pädagoginnen fordern Pubertierende auf, mal so richtig abzurocken, und danach gibt's 'ne Cola. Smells like pc, nach dem Motto: die Frau, das Patriarchat, der Früchtetee und die E-Gitarre. Schwieriges Thema.

Hamm, Westfalen. Ein Jugendheim. Den ganzen Tag sind Workshops gelaufen: Vocals, Gitarre, Schlagzeug, Baß. Jetzt wird zum erstenmal zusammengespielt. „Eins. zwei. drei. vier“ – sehr leise zählt die Schlagzeugerin an. Die Gitarristin wippt mit.

Achtung: Statistik. Mit offiziellem Stempel vom Familienministerium. Nach wie vor ist das Berufsfeld Musik am deutlichsten aller Kultursparten von Männern dominiert. Nur 20 Prozent aller, die mit Musik ihr Geld verdienen, sind Frauen. Die meisten arbeiten im Klassikbereich. In der sogenannten populären Musik liegt der Anteil der Frauen bei – Trommelwirbel: 8 Prozent. Die Mehrheit steht dekorativ vorne und singt; nur zwei bis drei Prozent spielen auch ein Instrument, meist Keyboard oder Saxophon. Klavier war schließlich schon immer das bevorzugte Objekt für die beweglichen Fingerchen der Bürgerstochter, und Saxophone sind so weiblich rund und klingen auch so. Am stärksten unterrepräsentiert sind Frauen da, wo's laut wird: an der Gitarre, am Baß, am Schlagzeug. Aber warum? Kein Bock? Kein Talent? Die bösen Männer lassen sie nicht? So einfach kann's nicht sein.

Wie war noch mal dieser HipHop-Beat? Die Schlagzeugerin bricht ab. Eine energiegeladene blonde Frau mit roter Strähne springt auf die Bühne und zeigt es. „Klasse“.

Verdacht: Es hat irgendwie mit der symbolischen Ordnung zu tun. Diese, so hat schon Papa Lacan gesagt, ist nach dem Gesetz des Vaters strukturiert. Die Frau ist das Andere, das notwendige Spiegelbild von Sprache und Vernunft, und damit von der symbolischen Repräsentation ausgeschlossen. Und vom Begehren: Der Mann hat nur einen einfachen Schwanz, will aber den Phallus. Die Frau repräsentiert das, was der Mann begehrt, sie ist der Phallus und kann ihn deshalb nicht begehren – geschweige denn ihn in Gestalt einer E-Gitarre in der Hand halten. Das heißt, sie kann schon, das demonstrieren ja die Gitarristinnen, die es gibt. Nur befindet sie sich dann in der Position des Männlichen. Nirgendwo ist es besser zu beobachten als in der sich authentisch gebärdenden Rockmusik mit ihrem Go- wild-Appeal, die Rebellentum, Inszenierung männlicher Potenz und musikalische Virtuosität verbindet: Der Koppelung der Codes ist kaum zu entkommen.

Die Gitarristin ist am souveränsten. Army-Hose, lange Locken zum Schütteln. Breitbeinig steht sie da. Solo, Kopf nach vorn, Gitarrenhals hoch: Alles klar.

Stefanie Denger – quirlig, blond, Mitte Dreißig – ist die RockSie-Mutter. Von einem Kulturbüro in Dortmund aus koordiniert sie die Workshops in den verschiedenen Städten. 1997, im 8. RockSie-Jahr, waren es 58, die meisten in NRW. Für sie ist der Knackpunkt die Pubertät. Bis dahin musizieren Jungs und Mädchen noch fröhlich gemeinsam auf der Blockflöte. Und dann kommt das, was man „doing gender“ nennt, und zwar heftig. So abgeschmackt es klingt, es ist immer noch nicht vorbei: Jungs erkämpfen sich ihr Prestige in der peer- group eher durch Action, sei es Skaten, Sprayen oder Gitarre spielen; die Mädchen haben das passende Outfit und machen auf Publikum. Wenn ein Rockmobil mit Instrumenten zum Ausprobieren auf einem Schulhof steht – gibt's zum Beispiel in Niedersachsen –, sind es die Jungs, die zugreifen. Mädchen wollen auch Musik machen. Aber anders. In ihrer Wunschlandschaft herrschen Blümchen und die Spice Girls.

„Guck dir das an. Du faßt es nicht.“ Stefanie Denger zeigt mir einen Stapel Briefe, die sie bekommen hat, nachdem ein Artikel über RockSie in der Zeitschrift Mädchen erschienen ist. „Wie findet man eine Produzenten? Meinst Du, ich habe eine Chance mit meinem Aussehen? Foto liegt bei!“ Das Mädchenband-Modell Tic Tac Toe – hübsch zusammengestellte Marionetten mit Rotzigkeitsüberzug – ist für den Girlie- Mainstream ein viel mächtigeres Identifikationsobjekt als phallische Riot Girls à la Courtney Love.

Vor der Bühne steht ein Mädchen mit stacheligen Dreads und nettem Lächeln und dreht sich eine. Die Sticks stecken in der Jeans, sie spielt gleich. „Kannst du singen?“ fragt sie mich plötzlich. „Nein“, flüstere ich. „Ich guck' nur zu.“

Rollenmodelle sind dazu da, sie über den Haufen zu werfen. Ist der Trau-mich-nicht-Effekt einmal überwunden, der Baß, die Gitarre in der Pfote, stellt sich die Frage des Umgangs mit dem Objekt der Begierde. Und hier kommt ein für Musikerkarrieren nicht unwesentlicher Aspekt zum Tragen: Der Frickel-Faktor. Wer einmal gesehen hat, wie hingebungsvoll der große Bruder Stunden und Tage damit zubringen konnte, Knöpfe an Verstärkern zu justieren, weiß, was gemeint ist. Mädchen neigen weniger zum Frickeln. Oder, brutaler ausgedrückt: Es gibt einen Mangel an technischem Interesse und dadurch auch an technischem Know-how. Und es tritt seltener etwas auf, was man als Besessenheit beschreiben könnte; ein gewisser Wahnsinn, der einfach Voraussetzung ist für eine Karriere als Studiomusikerin.

Die postfeminischische Provokationsphilosophin Camille Paglia würde sagen, das liegt im Prinzip des Weiblichen: Die Frau ist halt das träge Element, die wabernde Ursuppe, Natur statt Kultur. Das Schöpferische, das Extreme, das Geniale ist männlich – allein schon wegen der Hormone. Damit steht Mrs. Paglia in einer langen Tradition: So oder ähnlich geht es eigentlich seit Beginn der abendländischen Kultur. Das kann frau das Verhältnis zur Genialität schon vermiesen.

„Hey, das war mein Volume, was du da grade rausgedreht hast.“ „Oh, Entschuldigung.“ „Wir sollten wenigstens den Einsatz richtig auf die Reihe kriegen!“

Trotzdem gibt es natürlich Frauen, die Karriere als Musikerinnen machen. Von denen haben aber viele auf „Frauenproblematik“ demonstrativ keinen Bock: „Es ist doch völlig egal, ob ich eine Frau bin oder ein Mann – was zählt, ist einzig die Musik, die ich mache.“ Als müßten sie mit den Klischees, die in der Zeichenstruktur des Busineß für musikmachende Frauen zur Verfügung stehen, das Geschlecht gleich ganz mit loswerden. Viele Musikerinnen, die von RockSie gebeten werden, Workshops zu machen, sind erst mal skeptisch: Lila-Latzhosen- Panik und Emanzen-Allergie, so Stefanie Dengers Diagnose. „Dabei kommt bei längeren Gesprächen eigentlich immer raus, daß die Frauen durchaus Probleme hatten, frauenspezifische Probleme: besser sein als die andern, sich durchsetzen müssen... Es ist halt eine Männerdomäne. Aber wer in Deutschland die Frauenschiene fährt, ist gleich untendurch. Das ist das Schöne an den Amerikanerinnen. Die sagen auch mal: Natürlich bin ich Feministin.“

„Daß man überhaupt noch von Frauenfilm redet! Das ist wie vor zehn Jahren mit dem Frauen- Rock.“ Angewiderter O-Ton von Yasmin Tabatabai im Interview mit der Zeitschrift gitarre & bass. Tabatabai, Typ Power-Frau mit Stinkefinger, war Sängerin von Even Cowgirls Get The Blues, war die Frontfrau der Film-„Bandits“, hat den Soundtrack größtenteils geschrieben und eingespielt. Und bezeichnet ihn wenige Sätze nach oben zitiertem Ausbruch lachend als „supernaive Mädchenmusik“. Wenn man schon Frau sein muß, dann wenigstens 'ne kleine: Regression als Imageretter.

Versammlung zum Abschlußschrammeln. 40 RockSies auf einen Haufen. Schüchterne Teenies mit blonden, langen Haaren; gestylte 16jährige mit Kajal und Wimperntusche. Dann gibt's die autonome Springerstiefel-Fraktion. Und die Sängerinnen da? Die arbeiten bestimmt bei der Stadt, als Angestellte.

Gegen die Schizophrenie, die dem Zeichen Musikerin immanent zu sein scheint, kann RockSie natürlich nicht an. Auch nicht gegen Tittenbonus und Bielefelder Hardrocker, die „immer noch ernsthaft behaupten, daß Mädchen keine Gitarre spielen können“, wie eine Schlagzeugdozentin erzählt. Das Prinzip ist eher: ausprobieren lassen, und vielleicht machen ja ein paar weiter. Die Mädchen und Frauen in den Workshops empfinden es durchweg als sehr angenehm, daß keine Männer dabei sind: Das senkt den Streßfaktor. „In einer Band, in der ich mal gespielt habe, ging es vor allem um ,lauter, schneller, weiter‘“, erzählt eine Teilnehmerin. „Das hat mich einfach genervt.“ In gemischten Gruppen, so die Erfahrungen der Dozentinnen, ist es immer wieder so, daß Mädchen sich eher zurückhalten und einige sich bald ganz ausklinken – „das kann man gar nicht ausgleichen als Leiterin“. Hier dagegen können sie in Ruhe gucken, ob sie gerne auf Bass- Drums rumhauen. Danach werden die Eltern genervt: Schlagzeug zu Weihnachten, bitte! Rock-Opa Peter Bursch, einer der etabliertesten Workshop-Anbieter in Nordrhein-Westfalen, ist vor drei Jahren auch aufgefallen, daß gar keine Frauen zu seinen Kursen kommen, und hat sich bei RockSie gemeldet. „Da haben wir ihm erst mal gute Dozentinnen vermittelt“, erzählt Stefanie Denger.

In Nordrhein-Westfalen, hat sie beobachtet, gibt es mittlerweile mehr Frauenbands als noch Ende der 80er: „Wobei das Niveau bis jetzt nicht so umwerfend ist. Die meisten sind eher so Schrammel- Mädchenbands – oder halt der Jazzbereich, wo sich die klassisch ausgebildeten Musikerinnen finden. In allen Strömungen der Popmusik passiert wenig.“

Jetzt spielen sie. O Mann, so eine heftige Version von „House of the Rising sun“ hab' ich noch nie gehört. Die Schlagzeugerin mit den Dreads kneift die Augen zusammen und legt los. Immer schneller. Hört gar nicht mehr auf. Sieht aus, als würde es Spaß machen.

Ob die Bands nach dem Modell Sleater-Kinney, die die Probebunker bevölkern, jetzt auf eine weibliche Ästhetik zudengeln, ist eine andere Frage. In diesem Jahr gab's bei RockSie auch Kurse für DJanes, HipHop mit Cora E, Digeridoo-Spielen, Live-Mix-Technik. Nur im Bereich der elektronischen Musik konnte bis jetzt noch keine Dozentin aufgetrieben werden. „Frauenmusik gibt's nicht“, so das Urteil von Stefanie Denger. Die Geschlechtertrennungstaktik der Kurse soll vor allem den Anfängerinnen helfen, nicht Ausdruck einer Lebenseinstellung sein. Einsickern ist das Motto. Und dann langsam ausbreiten.