Taschenspielertricks

■ betr.: „Merkel rechnet Leukämie kranke gesund“, taz vom 10.12. 97

Am Chefsessel im Atomministerium – oder mit welcher Bezeichnung diese Behörde aus Opportunitätsgründen in Bonn gerade zu Buche steht – haben sich schon Leute aus den verschiedensten Berufen mehr oder weniger lange festhalten können: Gymnasiallehrer für alte Sprachen, promovierte Chemiker, Manager, diplomierte, sogar habilitierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Verleger, Richter. Dann holte sich Kanzler Kohl eine promovierte Physikerin aus der früheren DDR. Sie ist bisher die Letzte und – das Letzte.

Man denke nur an ihren entwaffnenden Vergleich zwischen undichten Castor-Deckeln und beim Backen ja auch immer ein bißchen danebengehendes Backpulver. Oder an ihr vollmundiges Antrittsversprechen, das seit Beginn des Atomzeitalters vor über 50 Jahren ungelöste Atomreaktormüll-Problem wesentlich zu entschärfen durch Nachdenken über Elementenumwandlung in solche mit kürzeren Halbwertszeiten. Nach dem heutigen Stand dieser Wissenschaft können darüber noch einmal 50 und mehr Jahre vergehen. Aber politisch wird damit heute schon ein Süppchen gekocht. Dazu ihr penetrantes Herumreiten auf dem in der Tat (jedenfalls im letzten Arbeitsgang) CO2-freien Atomstrom. Von den dabei völlig irrealen Größenordnungen und von den Atomkraftwerken, die wegen ihres technologisch bedingten, miserablen Wirkungsgrades die Atmosphäre nicht nur indirekt, sondern sehr direkt viel mehr aufheizen als alle Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke, redet die promovierte Physikerin genauso wenig wie die Atomlobby in ihrer Atomstrom-Propaganda hart an der Grenze von Wahrheit und Klarheit in der Werbung. Leider hält sich der für solche Fälle eigentlich gedachte Deutsche Werberat erklärtermaßen für nicht zuständig, wenn's um „Atom“ geht. Andere Wettbewerbs- und Verbraucherschützer fürchten, daß ihnen bei endlosen Gutachterstreits das Geld ausgeht, über das „die andere Seite“ in Unmengen verfügt.

Und nach alledem nun auch das noch mit dem Leukämie-Gutachten des Professors Jörg Michaelis. Als ich den taz-Kommentar „Täuschungsmanöver“ dazu las, mußte ich an das Buch „Käufliche Wissenschaft“ denken und den ausführlichen Teil über die Gutachter unter der Kapitelüberschrift „Richter ohne Robe“. Hans Grossmann, Maintal

Frau Merkel dürfen wir keinen Vorwurf machen. Sie hat lediglich den wichtigsten Teil der Studie gelesen: die Zusammenfassung. Allerdings hätten sie und die Kollegen des „unabhängigen“ Professors bei der Durchsicht etwas skeptisch werden müssen, daß in 16 Jahren sämtliche Krebskranken weggezogen sind, gestorben sind, nicht in der Ostsee leben und vor allen Dingen, deutsche Atomkraftwerke nicht mehr strahlen.

Wie gesagt, Frau Merkel hat ihren Job als Umweltministerin zufriedenstellend und im Sinne ihres Vorgesetzten durchgeführt. Der Mainzer Professor Jörg Michaelis hat allerdings als Wissenschaftler versagt und als Angestellter des Volkes seine Loyalitätspflicht verletzt. Er sollte zusammen mit den Kollegen des Instituts für medizinische Statistik den Steuerzahler entlasten, das Honorar zurückerstatten und sich bei Siemens einen neuen Job suchen. Heimo Posamentier, Schmitten

Die Art und Weise der Präsentation des Inhalts des Gutachtens von Professor Jörg Michaelis könnte als Vorlage für ein Lehrstück dienen: Der Zweck – die ideologische Absicherung von Profiten. Das Bühnenbild – ein Atommeiler aus Beton, über und über mit Girlanden und bunten Fähnchen behangen, kaum zu erkennen als solcher. Der Ort der Handlung – der Staat als eine „Maschine der Klassenherrschaft“ (Karl Marx). Im Rampenlicht als Hauptdarsteller – eine Minsterin als eine seiner MaschinistInnen. Ebenfalls auf der Bühne, in einer Nebenrolle, ein Wissenschaftler als apportierendes Hündchen der Herrschenden. Die Handlung – der Wissenchaftler hat weisungsgemäß seine Arbeit verrichtet, wird daraufhin sofort mit einer Wurst belohnt und rennt von der Bühne. Dabei umschwärmt ihn ein sich in ständig wechselnder Kostümierung geisterhaft bewegender, hüpfender und springender Haufen von Zahlen. Sie repräsentieren die Opfer – durch Atomkraftwerke an Leukämie erkrankte Kinder. Und ganz im Hintergrund, für die ZuschauerInnen unsichtbar, die VeranstalterInnen und SponsorInnen und eigentlichen NutznießerInnen des Spiels.

Im Atomgeschäft wird von einigen Menschen viel Geld eingesetzt, um viel Geld zu verdienen. Entsprechend professionell angelegt sind die flankierenden Maßnahmen zur Durchsetzung und Sicherung des Geschäfts: direkter Einsatz von Gewaltmitteln beim Bau von Atomkraftwerken und bei der Entsorgung ihrer strahlenden Abfälle, indirekte Gewaltausübung durch rechtlich einwandfreie und unanfechtbare Verfahren und Genehmigungen, sowie durch wissenschaftlich ausgeklügelte Unbedenklichkeitsbescheinigungen und Risikoanalysen. Normalerweise agieren die GeldgeberInnen und ihre HelferInnen raffiniert und geschickt. Nicht so in diesem Fall.

Es bleibt einem schon die Luft weg, mit welch üblen statistischen Tricks und redaktionellem Geschick ein – man schämt sich die Bezeichnung zu benutzen – Wissenschaftler im jetzt vorliegenden Gutachten die Wahrheit zuzuschütten versucht. Letztendlich nützten alle Taschenspielertricks nichts. Selbst diese für den Zweck zurechtgestutzten Zahlen sind noch so brisant, daß sie nicht in die Zusammenfassung dürfen, wo viele sie bekanntlich lesen und zu dem Schluß kommen könnten: Im Nahbereich von Atomkraftwerken zu leben ist gefährlich; dort sind es vor allem die Kinder, welche die gesundheitlichen Risiken des ansonsten profitablen Atomgeschäfts tragen. Wolfang Maul, Nürnberg