Analyse
: Allianz der Außenseiter

■ Trotz Gas-Deals bleibt die Verbindung Moskau-Ankara brüchig

Einen Tag nachdem die Türkei ihre Beziehungen zur Europäischen Union auf Eis gelegt hat, besucht Rußlands Premierminister Wiktor Tschernomyrdin den gekränkten Mann am Bosporus. Der „größte und schwierigste Vertrag in der Geschichte des Gasgeschäfts“, so der russische Premier, soll unter Dach und Fach gebracht werden. 350 Milliarden Kubikmeter Gas plant Moskau im Laufe von 25 Jahren dem südlichen Nachbarn zu liefern. Eigens dafür wird Rußlands gigantischer Energiekonzern Gasprom, den Tschernomyrdin vor seiner Zeit als Premier führte, eine Pipeline in 2.000 Meter Tiefe auf dem Boden des Schwarzen Meeres vom russischen Ort Dschugba ins türkische Samsun legen.

Die Koinzidenz der Visite und Ankaras harscher Reaktion gegenüber der EU ist zufällig, entbehrt indes nicht einer gewissen Symobolik. Das Verhältnis zwischen Rußland und der Türkei ist widersprüchlich, in gewisser Weise sogar schizophren. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der UdSSR hat der Warenverkehr zwischen beiden Ländern um ein Vielfaches zugenommen. Die seit 400 Jahren währende geopolitische Rivalität konnten die engeren Wirtschaftsbeziehungen dennoch nicht ausräumen. Ankaras Ambitionen, im ehemaligen sowjetischen Mittelasien die Nachfolge Moskaus anzutreten, verfolgt der Kreml mit Mißtrauen. Im Tschetschenienkrieg machte die Türkei keinen Hehl daraus, wo ihre Sympathien lagen. Darüber hinaus schloß sie unter fadenscheinigen Begründungen für russische Tanker öfter die Meerenge der Dardanellen, um dem nördlichen Nachbarn zu demonstrieren, wer im Schwarzen Meer das Sagen hat. Nicht zuletzt plant Moskau daher auch, eine Pipeline über Bulgarien nach Griechenland zu verlegen.

Im Kampf um Erdgas und Ölreserven in Zentralasien und rund um das Kaspische Meer gilt Moskaus Aufmerksamkeit inzwischen einem anderen Konkurrenten: den USA, die in die Region hineindrängen. Rußlands Leidenschaft hängt gar nicht so sehr an den Energieressourcen. Vielmehr ahnt der Kreml: Sollten die jungen Staaten mit Hilfe amerikanischen Kapitals eines Tages zu relativem Wohlstand gelangen, hätte Rußland seinen Vorhof für immer verloren. Daher setzt Moskau alles daran, Öl und Gas möglichst über sein Territorium herauszuschaffen. Der Gas-Deal mit der Türkei versetzt indes den amerikanischen Aspiranten in Mittelasien einen empfindlichen Schlag. Washington übte auf Ankara Druck aus, das Gasgeschäft mit Turkmenistan abzuschließen. Man war sogar bereit, den Iran mit in das Geschäft einzubeziehen. Das will etwas heißen. Die Russen können nur frohlocken, während Ankara sich rächt, daß der Westen seinen Wünschen nicht kritiklos entspricht. Dennoch bleibt es eine brüchige Allianz der Außenseiter. Klaus-Helge Donath