Vorbild Amerika Von Carola Rönneburg

Als ich um die Ecke in mein Büro einbog, regte sich Kollege Meier mächtig über die Spiegel-Fixiertheit dieser Zeitung auf. Ich sah Redakteure vor mir, wie sie ihren Bartwuchs in den schwach beleuchteten Betriebstoiletten überprüften, aber das war nicht gemeint. „Die Existenz von Focus“, beendete Herr Meier soeben seinen Vortrag, „hat doch nur eins belegt: der Spiegel ist so banal wie alle anderen Hefte.“ Schön gesagt, dachte ich, denn ich lese das Magazin schon lange nicht mehr. Eines Montags kaufte ich es einfach einmal nicht und blieb dann dabei.

Vor kurzem dachte ich aber noch, ich sollte ab und an „Spiegel TV“ sehen. Nicht, weil dort das passieren würde, was ich in der gedruckten Ausgabe vermißt hatte, sondern weil hier das Budget ambitionierten Autoren zuteil wurde, die dann, so vorher ein Filmchen mit vielen bloßen Brüsten gesendet worden war, eine ordentliche Recherche präsentieren durften.

In diesem Rahmen sah ich einige Beiträge über Gefängnisse in den unangenehmsten Staaten des Vereinigten Amerikas. Unter anderem berichtete man über Langzeithäftlinge: ergraute, inzwischen gebrechliche Rentner, halbblind und schwerhörig, die ruhig und abgeklärt von ihrem Alltag sprachen und unter ihren Betten keine selbstgeschnitzten Waffen horten, sondern erschreckend ordentlich gefaltete Hemden. Im Bild war auch ein Krankensaal für die Lebenslänglichen, nicht mehr gesichert als andere Trakte im Bau. Wer hier lag, würde hier zum Erliegen kommen, auf Wunsch einer Gesellschaft ohne Gnade.

Aber das war „Amerika“, oder? Nicht ganz: Am vergangenen Sonntag erzählte „Spiegel TV“ von Weiterstadt, dem supermodernen bundesrepublikanischen Gefängnis, das 1993 von der RAF in die Luft gesprengt worden war. Das Spiegel-Fernsehen hatte sich ausgerechnet diesen Bau und seine Insassen vorgenommen, um sich endlich einmal gefahrlos der Satire nähern zu können – wohlgemerkt nach „Spiegel TV“-Definition, wonach die größten Lacher von seiten der herrschenden Meinung einzuholen sind.

So hießen denn auch die Häftlinge konsequent „Gäste“, die nicht auf Jahre in schmalen Zellen, sondern in „Zimmern“ leben, und um das Bild eines Kuraufenthalts abzurunden, führten die TV-Reporter ihre Interviewpartner rücksichtslos vor: Die Knackis zeigten ihr aktenordnergroßes, eigenes Kühlschrankfach und schwärmten von mehr als drei störungsfrei empfangenen Fernsehprogrammen, was ihnen dann – aber süffisant! – als überflüssiger Luxus angelastet wurde.

Denn was will „Spiegel TV“? Nachweisen, daß es „denen“ viel zu gut geht, weil sie Filme gemeinsam und auf Leinwand sehen und Krafttraining „unter Anleitung einer Fachkraft“ absolvieren dürfen; Empörung hervorrufen, weil Sträflinge eine Sporthalle und ein Schwimmbad benutzen. Anprangern, daß das „Foyer“ (Spiegel TV“), in dem Angehörige und Anwälte auf die Wegggeschlossenen warten, mit Farn begrünt ist. Und Vorschläge machen: Wäre es nicht gerechter, fragt die „Spiegel TV“- Redaktion, wenn die alle an Eisenkugeln gekettet wären und Autobahnen asphaltieren müßten, bis sie krepieren?

Auch die Bildschirmausgabe des Spiegel wird mir nicht fehlen.