Studierendenproteste 1997: „Lucky“ Streik?

In einem, so scheint es, sind sich die KommentatorInnen des Studierendenstreiks 1997 einig: die Studierenden sind Status-quo- Verteidiger (Josef Joffe in der SZ), sie betreiben Klientelismus (Tobias Dürr in der taz). Nur auf mehr Geld bedacht, veranstalten die „braven“ Studierenden „friedliche, bunte Proteste“ oder „Parties“ (und all dies wird betont pejorativ berichtet) und sind weder fähig zu durchsetzungsfähigen, medienwirksamen Aktionen noch zu richtiger Politik. Viele der KommentatorInnen, selbst sogenannte Alt-68er, verspotten die Studierenden schon allein dafür, daß sie keine Barrikaden bauen, keine Supermärkte plündern und keine Schlägereien mit der Polizei veranstalten. Tja, das waren noch Zeiten damals, als es noch „härter, unversöhnlicher (...) zur Sache“ ging und man „machiavellistisch (...) die eigenen Interessen“ (Dürr, taz vom 12.12. 97) verfolgte.

Zugestanden wird uns Studierenden immerhin, daß die Lage heute komplizierter geworden ist, die Einteilung in Freund und Feind nicht mehr so einfach ist wie damals.

Übersehen wird nun von den KommentatorInnen – unabhängig von ihrer jeweiligen (Partei-) Couleur – die Heterogenität der Forderungen wie der Diskussionsprozesse der Studierenden. Abgesehen davon, daß es zumindest fraglich ist, ob ein drei- bis vierwöchiger Streik – dessen Organisation, Durchsetzung gegen die ProfessorInnen und Motivation der KommilitonInnen – tatsächlich nur Spaß bringt und als eine einzige Party erlebt wird, sollte von den JournalistInnen ihre eigene Perzeption hinsichtlich der viel gescholtenen Studierenden überprüft werden: Sind sie tatsächlich so unpolitisch wie von den Alt- 68ern gerne und standhaft behauptet wird? Ist eine „Streikpolitik“, die zur Solidarisierung mit den VerliererInnen der Berliner Republik aufruft, tatsächlich als bloßer Klientelismus abzutun? Ist die Repolitisierung vieler Studierender, die Rückkehr des Interesses an der Hochschulpolitik nicht bereits als ein erster, wenn auch kleiner Erfolg zu betrachten?

In vielen Artikeln, die derzeit erscheinen, wird im Stile eines neoliberalen Diskurses, der nicht nur in den Wirtschaftsteilen der großen Tageszeitungen die Oberhand gewinnt, die radikale Reform des deutschen Universitätssystems sowie die Durchsetzung des neuen Hochschulrahmengesetzes gefordert. Keine/r der KommentatorInnen, die kollektiv die Widerborstigkeit und Halsstarrigkeit der Studierenden beklagen, da diese angeblich sämtliche Modelle von Studiengebühren und Strukturreformen kurzerhand ablehnen, hat sich aber die Mühe gemacht, die Forderungen der Studierenden und vor allem deren Diskussionen einmal genauer anzusehen. Anders als Tag für Tag in den Medien berichtet, ist die interne Diskussion, an der sich im Glücksfall auch ProfessorInnen konstruktiv beteiligen, zumindest bezüglich der Strukturreformen des deutschen Hochschulsystems sehr kontrovers. In vielen Veranstaltungen werben Studierende, die das angelsächsische Universitätssystem aus eigener Anschauung kennen, für die Einführung eines BA's und häufig wird die stärkere Trennung von Berufs- und wissenschaftlicher Ausbildung an deutschen Universitäten diskutiert. Daß die Universitäten in Deutschland eine Reform dringend benötigen, wird dabei von den Wenigsten bestritten. Dennoch haben die Studierenden das Recht, auf die Konsequenzen des neuen Hochschulrahmengesetzes für die sozial Schwächeren hinzuweisen, wenn dessen Einführung nicht durch eine echte Bafög- Reform flankiert wird. Darüber hinaus kann aber von den Studierenden nicht verlangt werden, daß sie ein Reformmodell auf den Tisch legen – hier liegt die Bringschuld eindeutig bei den PolitikerInnen.

Bevor also von der Ideenlosigkeit der Studierenden und deren Klientelismus gesprochen wird, sollte eine differenzierte Recherche vorgenommen werden, um nicht ein Klischee nach dem anderen zu (re)produzieren. Die Ausweitung des neu erprobten hochschulpolitischen Engagements in die Parteien hinein könnte allerdings eine sinnvolle (und auch logische) Folge des Streiks sein, um am politischen Agendasetting verstärkt mitzuwirken. Undine Ruge, Göttingen