Muß Janvier vor UN-Tribunal?

Französische Menschenrechtsorganisation wirft ehemaligem UN-General „Komplizenschaft“ bei der Eroberung der UNO-Schutzzone Srebrenica vor  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag soll Anklage gegen den französischen General Bernard Janvier erheben, der 1994/95 Oberkommandierender der UNO-Truppen (Unprofor) in Exjugoslawien war. Das hat die französische Menschenrechtsorganisation „Internationale Vereinigung gegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (AICG) in einer Eingabe an das Tribunal gefordert.

Die AICG beschuldigt Janvier der „Komplizenschaft“ und „Mitverantwortung“ für die Eroberung der UNO-Schutzzone Srebrenica durch bosnisch-serbische Truppen im Juli 95 sowie für das anschließende Massaker an bis zu 8.000 muslimischen Zivilisten. Das Tribunal hat die Eingabe der AICG schriftlich bestätigt und an seine Ermittlungsabteilung weitergeleitet.

Die Forderung nach Anklageerhebung gegen General Janvier erfolgt zu einem Zeitpunkt scharfer Spannungen zwischen dem Tribunal und der Pariser Regierung, unter anderem, weil die Regierung Janvier und anderen Offizieren der französischen Armee Zeugenaussagen vor dem Tribunal untersagt hat.

Die 1901 gegründete Menschenrechtsorganisation AICG fordert das Tribunal auf, seine am 16. November 95 erhobene Anklagen gegen den bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić und seinen General Ratko Mladić wegen „Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie schweren Verstößen gegen die Genfer Konventionen von 1949, begangen in der UNO-Schutzzone Srebrenica im Juli 95“, auf General Janvier auszuweiten.

Die AICG beruft sich auf Artikel 7 der Tribunal-Statuten, in dem die kriminelle Verantwortung von Einzelpersonen für derartige Verbrechen definiert ist. Das Statut macht keine Einschränkung bezüglich der Nationalität von Personen, gegen die das Tribunal Verfahren einleiten kann. Eine nachträgliche Ausweitung bereits erhobener Anklagen auf weitere Personen hat das Tribunal bereits in zwei Fällen vorgenommen: im Prozeß gegen den bosnisch-kroatischen Offizier Tihomir Blaskić und im Verfahren zur Klärung des Massakers an Patienten des Krankenhauses in Vukovar.

Die AICG begründet ihre Eingabe unter anderem mit Erkenntnissen über das Verhalten Janviers, die im Oktober/November 95 zunächst in der taz und seitdem in zahlreichen anderen Zeitungen und in Büchern veröffentlicht wurden. Danach war Janvier bereits Wochen vor Beginn des serbischen Angriffs auf Srebrenica am 5. Juli 95 durch Aufklärungserkenntnisse des französischen Geheimdienstes und vertrauliche Berichte von UNO-Militärbeobachtern über die Angriffsvorbereitungen informiert, unternahm aber nichts. Während des sechstägigen Angriffes lehnte der General nachweislich mindestens fünfmal das Ersuchen der in Srebrenica stationierten niederländischen Blauhelme sowie anderer ihm untergebener UNO-Soldaten ab, Nato- Luftstreitkräfte zur Verteidigung der UNO-Schutzzone anzufordern.

Am Vorabend der endgültigen Eroberung Srebrenicas (11. Juli) erhielt Janvier im Zagreber Unprofor-Hauptquartier einen Anruf aus dem Pariser Elysee-Palast, in dem die Order, keine Nato-Unterstützung anzufordern, noch einmal bestätigt wurde. Nach Informationen der taz kam dieser Anruf von Präsident Jacques Chirac. In einem vertraulichen Schreiben hatte Janvier bereits am 29. Mai 95 dem ihm untergebenen britischen General Rupert Smith, Kommandeur der Unprofor in Bosnien, befohlen, Ersuchen nach Nato-Luftunterstützung zu unterlassen.