Das Schweigekartell

■ Paris behindert weiter die Arbeit des UNO-Kriegsverbrechertribunals

Die Kritik der Chefanklägerin des UNO- Kriegsverbrechertribunals, Louise Arbour, an Frankreich war überfällig. Denn die französische Regierung hat dem ehemaligen UNO-General in Exjugoslawien, Janvier, sowie französischen Offizieren verboten, vor dem Tribunal als Zeugen auszusagen. Damit verstößt Paris gegen die völkerrechtliche Verpflichtung zur uneingeschränkten Zusammenarbeit und stellt sich in dieser Hinsicht auf eine Ebene mit Belgrad, Zagreb und Pale.

Die arrogante Reaktion auf Arbours zutreffende Kritik und der Rundumschlag des Verteidigungsministers Richard gegen das Tribunal („angelsächsisches Justizspektakel“) verrät die Sorge, durch das Tribunal könne die Mitverantwortung der französischen Regierung für das schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das seit 1945 in Europa stattgefunden hat, ans Tageslicht kommen. Noch kann sich Paris auf das Kartell aus Schweigen und Lügen verlassen, das seit dem Juli 95 existiert. Washington, Bonn, London und Moskau haben im Fall Srebrenica selber viel zu vertuschen und behindern ebenfalls seine Aufklärung durch das Tribunal.

Ähnliches gilt für das Thema der Festnahme mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Die von Arbour genannten Fakten und Informationen über die hohe Konzentration dieser Personen im Sektor Südostbosnien und das besonders unengagierte, oft beinahe schon komplizenhafte Verhalten der dort zuständigen französischen Soldaten sind nicht von der Hand zu weisen und durch zahlreiche Zeugen bestens belegt. Aber auch hier funktioniert das Kartell bestens, wie die Reaktionen aus dem Nato- Hauptquartier auf Arbours Kritik zeigen.

Der Ausgang des Streits zwischen Paris und dem Jugoslawien-Tribunal dürfte erhebliche Bedeutung haben für das künftige Gewicht dieses Tribunals und damit für die Chance auf baldige Einrichtung eines Internationalen Strafgerichts; und zwar eines unabhängigen Gerichts, unter dessen Jurisdiktion alle Staaten dieser Erde fallen und gleichbehandelt werden, und das auch ohne vorherige Ermächtigung durch den UNO-Sicherheitsrat oder dessen fünf ständige Mitglieder Verfahren initiieren kann. Das Verhalten der französischen Regierung und die klammheimliche Unterstützung aus den Hauptstädten anderer einflußreicher Staaten läßt die Chance für einen solchen Gerichtshof nicht gut erscheinen. Andreas Zumach

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