Heimisches Kühlschrankleuchten

■ Brillant gefilmtes Begehren: Yim-Hos Adaption des Pop-Kult-Romans Kitchen von Mohoko Yoshimoto im Kino

Als Mohoko „Banana“Yoshimoto vor neun Jahren ihren Pop-Roman Kitchen veröffentlichte, kam das einer kleinen Sensation gleich. Mit seiner zwischen Haiku-Abstraktion und den Kitschwelten der Mädchenmangas oszillierenden Sprache wurde Kitchen schnell zum Kultbuch und mit ihm die damals 24jährige Bedienung zur Multi-Millionärin und zum literarischen Symbol (nicht nur) einer asiatischen Jugend, die der Tradition wie der kapitalistischen Moderne gleichermaßen gleichgültig und heimatlos gegenübersteht. Kritiker warfen Yoshimoto vor, ein literarisches Leichtgewicht zu sein, und einige Webpages sind bereits allein dem „Banana Bashing“gewidmet.

Da nimmt es wunder, daß sich ausgerechnet Yim-Ho, Regisseur visuell vertrackter historisch-moralischer Epen dostojevskischen Gewichts wie Red Dust (1990), The Day The Sun Turned Cold (1994) und The Sun Has Ears (1994, Silberner Bär auf der Berlinale 1996), nach neun Jahren der poppigen Vorlage annahm. Aber Yim-Ho gelingt die Umsetzung der Themen des Romans – Zeit, Verlust und das Begehren nach Leben – brillant, wenn man sich damit abgefunden hat, daß alles spannende Kino heute letztlich Poser-Kino ist – von den Coen-Brüdern bis zu Wong Kar-Wai, mit dem der Vergleich naheliegt.

Nach der Beerdigung ihrer Großmutter zieht sich die sensible und sinnliche Aggie (Yasuko Tomita), die davon träumt, Köchin zu werden, in das Licht ihrer heimischen Kühlschranks zurück, bis sie vom hippen Friseur Louie aus ihrer Einsamkeit geholt wird und zu ihm und seiner Mutter Emma (Law Kar Ying), einer aufgedrehten Nachtclubbesitzerin, zieht. Doch Emma, die von Aggie einiges über Weiblichkeit und deren Masken lernt, war lange Zeit Louies Vater, der sich nach dem Tod seiner geliebten Frau zur Geschlechtsumwandlung entschloß: Da er das Liebesobjekt nicht zurückholen konnte, wurde er zu ihm. Nachdem Emma von einem freudlosen Verehrer ermordet wird, bricht diese Gegen-Familie auseinander, Louie flüchtet sich auf das ländliche Festland, das ihm Aggie in einer der humorvollsten Szenen chinesisches Fastfood mit dem Jet anliefert. Aber es dauert einige Jahre, bis die beiden Trauernden wieder aufeinandertreffen und bereit sind zu lieben.

Das Leben ist wie ein Kaleidoskop. Es gibt so vieles zu entdecken“, sagt Aggie einmal. Faszinierend an Kitchen ist nicht nur die Leichtigkeit seiner Identitätspolitik, sondern die Repräsentation seiner Personenpsychologie durch die Kombination von flüchtigen erzählerischen Fragmenten und virtuosen visuellen Punktierungen, die die Leinwand zum Ort der Entdeckungen, des Werdens und Vergehens optischer Oberflächen macht. Doch wie im Leben der drei Protagonisten ist diese Suche nach Schönheit auch im Kino schon immer vom Verlust bedroht: Der Fluß der Bilder läßt sich nicht zurückdrehen. Selten hat diese melancholische Ambivalenz der Kinobilder aber etwas so Würdevolles wie bei Yim-Ho.

Allein zu lang geraten ist Yims über zweistündiger, in blaues Licht getauchter, bitter-süßer Bildertraum.Tobias Nagl

Abaton, Neues Broadway, Zeise