Totalitäre Romanze

■ Premiere im Malersaal des Schauspielhauses: Dimiter Gotscheff inszeniert Vladimir Sorokins Ein Monat in Dachau als subtiles Erinnern an die Opfer des Faschismus

Am Anfang war eine Touristenreise. Als der russische Schriftsteller Vladimir Sorokin vor einigen Jahren Deutschland besuchte, besichtigte er das Konzentrationslager Dachau. Es war bereits geschlossen, doch eine Wärterin ließ ihn trotzdem hinein. Allein mit den stummen Zeugen des Vernichtungswahns, den Zellen und den Verbrennungsöfen – der Eindruck scheint tief nachgewirkt zu haben. Der Autor übersetzte das Erlebte in Fiktion und schrieb die Erzählung Ein Monat in Dachau. Sorokin, Jahrgang 1955 und in Rußland einer der bekanntesten Schriftsteller seiner Generation, könnte jetzt auch hier seine Anhängerschar vergrößern. Regisseur Dimiter Gotscheff hat sich des Stoffes angenommen, und seine Bühnenfassung, entstanden für das Düsseldorfer Schauspielhaus, wird nun im Malersaal zu sehen sein.

Die Geschichte spielt in einer Phantasiewelt, im Deutschen Reich des Jahres 1990. Ein russischer Schriftsteller (Samuel Fintzi) und sein Widerpart Gretchen/Margarethe (Almut Zilcher) leben in dem KZ ihre Haßliebe aus. Die Deutsche mit dem doppelten Gesicht, romantische Seele und Lageraufseherin in einer Person, und der Russe, der sich von ihr foltern läßt – für Sorokin verkörpern sie den totalitären Bodensatz beider Länder, dessen sadistisches und masochistisches Prinzip.

Gotscheff bleibt bei dieser Polarisierung, will aber stärker das Individuelle betonen. Er ist im stalinistischen Bulgarien aufgewachsen und weiß aus eigener Erfahrung, wie grausam gerade das Verschwinden und die Vernichtung des Individuums in einem totalitären Regime ist. Heute werde dagegen an dem Verschwinden der Vergangenheit gearbeitet, und deswegen will er sein Stück als eine leise und langsame Erinnerung an die Opfer verstanden wissen. Er wehrt sich gegen die Austilgung von Bewußtsein, gegen die immer noch beschworene Unmöglichkeit, sich dem Totalitären zu nähern. Bei Sorokin, dessen Sprache er mit Celan und Müller vergleicht, habe er das erste Mal einen Text gefunden, dem eine plastische Annäherung an diese Zeit gelinge.

Barbora Paluskova

Premiere: Sa., 20. Dezember, 20 Uhr,

Malersaal