■ Bundeswehr: Volker Rühe bemüht Verschwörungstheorien. Er zeigt damit eine Seelenverwandtschaft zu rechten Orientierungsmustern
: Die Reinheit des Männerbundes

Standhaft wehrt sich Verteidigungsminister Rühe gegen eine unabhängige sozialwissenschaftliche Untersuchung über das geistige Klima in der Truppe. Was sollte auch groß herauskommen? Junge Männer mit rechten Orientierungen werden durch Männerbünde, die Faszination von Technik, Tat und Action und die Aussicht auf Teilhabe am Gewaltmonopol angezogen. Alkohol hilft letzte Hemmungen zu überwinden. Und nach der Reform des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung entscheiden sich eher bildungsschwache und rechtskonservative Wehrpflichtige für den Dienst an der Waffe. Von einem Spiegel der Gesellschaft kann also keine Rede sein. Dieser Befund betrifft die jungen Wehrpflichtigen, deren pädagogisch-politische Erziehung Rühe angesichts der Umstrukturierung der Bundeswehr völlig vernachlässigte.

Bei Offizieren und Führungskadern ist das anders. Die nämlich begehen seit Jahren Gedenkfeiern und Traditionsfestlichkeiten, stehen Kasernen mit Namen alter Nazigeneräle vor, hüten Hinterzimmer mit obskuren Wehrmachtsdevotionalien. In München hinderte der Standortälteste angehende Offiziere 1992 nicht am Hissen der Reichskriegsflagge. Darauf angesprochen, ging er gleich in Offensive: Ein Spinner und Nestbeschmutzer sei Helmut Prieß, Oberstleutnant a.D. und Vorsitzender des bundeswehrkritischen Darmstädter Signals.

Die Wortwahl ist verräterisch. Nicht nur, daß es für einen erwachsenen Menschen ein ernsthaftes Symptom mangelnder Autonomie darstellt, sich noch stets im Nest zu wähnen. Die Reinheit der eigenen Gruppe, des Volkskörpers gar, ist ein festes Motiv aller rechten Orientierungsmuster, das Verschmutzung und Verfolgung überall paranoid ortet. Die eigene Korpsidentität fühlt sich bedroht, wo kritisches Selbstverständnis aufflammt.

Auch hier weist die Bundeswehr natürliche Parallelen zu weitverbreiteten deutschen Befindlichkeiten auf: Endlich Schluß soll sein mit den ewigen Schuldbekenntnissen, um die ramponierte eigene Identität unbefleckt vor sich hertragen zu können. Endlich Schluß aber müßte vielmehr mit der unseligen Traditionshudelei der Bundeswehr sein, die mittels Namensgebungen und Feierlichkeiten an jenem Mythos der Wehrmacht festhält, die dem Naziregime nur nolens volens gedient habe. Wer hier nicht ansetzt, erntet konsequenterweise jene rechtslastigen Ausfälle in Serie, die augenzwinkernd toleriert werden, solange sich eine kritische Öffentlichkeit nicht einmischt.

Keine einzige Meldung über die jetzt bekannt gewordenen Vorfälle kam aus der Mitte der Bundeswehr, wie man es bei einer Institution mit einem gesicherten demokratischen Grundverständnis hätte erwarten dürfen. Statt dessen macht sich eine – für kasernierte Institutionen typische – Lagermentalität breit, die nur zugibt, was bereits nachgewiesen ist. Das Böse kommt dabei regelmäßig von außen, man selbst wähnt sich als Opfer. Volker Rühes Chance läge in der von ihm so gerne öffentlich demonstrierten forschen Offensive. Doch der Minister verfällt – hier wiederum Spiegel des Symptoms, das zu bekämpfen er antritt – in die üblichen Verschwörungstheorien über „bestimmte Medien und Linke“. Mithin, Täter werden zu Opfern, die Larmoyanz rechter Kreise lebt gerade davon. Es ist jene unbewußte Seelenverwandtschaft, die Rühe auch jenseits von Afrika straucheln läßt. Sein autoritärer, keinen Widerspruch duldender Führungsstil ist kaum Vorbild einer Armee der Bürger in Uniform.

Die Chance der Bundeswehr liegt in der Akzeptanz ihrer gebrochenen Tradition, die die deutsche Geschichte abbildet. Statt dessen läuft sie Gefahr, Spiegel all jener zu werden, die lauthals nach dem historischen Schlußstrich rufen und leise unter sich rechten Gesinnungen fröhnen. Die Symptome massiver Diskrepanz zwischen versuchter Außendarstellung und tatsächlichem Verhalten in den eigenen Reihen zeugen davon. Volker Rühe ist nicht ohne Geschick bemüht, die Bundeswehr auf ihre kommenden Aufgaben einer auch im internationalen Raum agierenden demokratischen und der Zivilität der Bundesrepublik verpflichteten Truppe vorzubereiten. Doch das geht nur, wenn sich die Bundeswehr ihrer Identitäts- und Selbstverständnisfrage offen stellt. Das Selbstverständnis der Truppe kann sich niemals auf schrägen Rettungsversuchen der Wehrmachtstradition aufbauen. Die von Beginn an währende Kette von Peinlichkeiten, Skandalen und gelegentlichen Korrekturen im nachhinein beweist, wie weit die Bundeswehr von einem demokratischen Selbstverständnis entfernt ist.

Nun kann niemand Rühe vorwerfen, nicht jedes rechte Saufgelage junger Wehrpflichtiger verhindert zu haben. Das Versagen des Ministers liegt in der konsequenten Verdrängung dieser brüchigen Identität der Bundeswehr, die auf diese Weise allerdings ein Zerrbild der Gesellschaft abgibt. Hier sei das Bild vom Spiegel erlaubt: Wie mit deutscher Vergangenheit leben, ohne in Scham und Schuld zu versinken oder sich der schmerzlichen Vergangenheit durch rechtes Gedankengut entledigen zu wollen?

Es wäre politisch wie sozialpsychologisch naiv, zu glauben, eine Armee könne sich jemals für alle Mal der Gefahr rechter Entgleisungen entledigen. Rechte Orientierungen finden sich in jeder Armee – weit mehr als in der jeweiligen Nation, sehen wir einmal von ein paar Glücksfällen wie der portugiesischen Armee ab, die ihr Volk von Salazars Erben befreite. Die bitteren Erfahrungen mit einer faschistischen Diktatur führten sie zu einem demokratischen Selbstverständnis, das im übrigen durchaus die Sehnsucht junger Männer nach Ruhm und Stolz zu erfüllen vermochte: Sie wurden nach ihrem unblutigen Putsch weltweit als die traumhaften Helden der Nelkenrevolution gefeiert. Ein bißchen von dem mag Volker Rühe geahnt haben, als er die Oderdeich-Aktion für das Image der Truppe nutzte. Dem Bedürfnis nach Initiation, Männerfreundschaft, Grenzerfahrungen und Kraftdemonstration junger Wehrpflichtiger wie Berufssoldaten kommen solche Aktionen ebenfalls nach. Es ist die Frage, womit eigene Identität und Stärke identifiziert sind, ob mit der Stärke, die jede humane Zivilgesellschaft benötigt, oder den alten Insignien.

Volker Rühe sollte nicht zurücktreten wie so viele Verteidigungsminister vor ihm. Vortreten sollte er, wenn er kann. Damit die Bundeswehr zum Spiegel einer demokratischen Gesellschaft wird. Micha Hilgers