Tanz den Behördentango

Die Berlinale wollte hier ihre nächste Abschlußparty feiern. Jetzt wird die in Hörweite der Hackeschen Höfe gelegene Tanzschule Schmidt zwangsgeschlossen  ■ Von Andreas Becker

Am Montag kam es zum Showdown. Das Bezirksamt Mitte von Berlin hatte zum Ortstermin in die Rosenthaler Str. 38 geladen. Gegenstand der Erörterung: Ein Bauantrag „auf Nutzungsänderung der Räume im Erdgeschoß als Tanzschule“. Baustadträtin Baumert (parteilos, für PDS) und die Betreiberin der Tanzschule Schmidt, Sybille Schmidt, gerieten schnell in heftige Wortgefechte. In dem historischen Saal, in dem schon Rosa Luxemburg um die richtige Parteilinie rang, behauptete Baumert laut Schmidt, sie müße die „9.000 normalen Einwohner“ des Bezirks vor Touristen und anderen Vergnügungswilligen schützen. Nach 21 Monaten provisorischen Tanzschulen-Betriebs und 16.000 mit ihrem Mann geleisteten Renovierungsarbeitsstunden war Schmidt einigermaßen fassungslos.

Baumerts Bauaufsichtsbeamten hatten inzwischen die große Theke im Saal entdeckt und schlossen messerscharf: Hier muß ausgeschenkt worden sein. Und dafür braucht man in Deutschland immer noch eine „Schankgenehmigung“. Ergebnis: Die sofortige „Baunutzungsuntersagung als Vergnügungsstätte, als Schank- und Speisewirtschaft und als Versammlungsstätte gemäß §§ 1,2, 19-23 VStättVO“. Mit „Anordnung der sofortigen Vollziehung“. Ein Widerspruch ist damit zwar möglich (und von Schmidts Anwälten auch eingelegt), hat aber keine aufschiebende Wirkung. Ab sofort würden sich hier Menschen ohne Behördenlizenz vergnügen, da helfen auch die von Schmidt picobello eingebauten Toiletten und schalldichten Fenster nicht: „An der sofortigen Vollziehung besteht ein besonderes öffentliches Interesse“. Die Berlinale wollte hier ihre nächste Abschlußparty feiern.

Zwei Tage nach dem Behördenurteil sitzt man mit Sybille Schmidt allein an einem der runden Kaffeehaustischchen in dem gemütlichen großen Tanzsaal, hektisch blättert sie sich durch zwei Aktenordner Tanzschulengeschichte. Nachmittags hat sie mit Freunden lieber schon mal das Klavier abtransportiert, das sie einem ihrer Söhne nun zu Weihnachten schenken will. Sie will trotz aller Behördenbescheide weitermachen, „natürlich nur mit Privatparties“. Aber sie hat Angst, daß sie demnächst per Siegel am Betreten ihrer eigenen Räume gehindert wird.

Für Schmidt wäre das keine ganz neue Erfahrung. Seit 1985 mimt sie unfreiwillig die Frau Fatal des Berliner Veranstaltungsgewerbes. Schon mit ihrem ersten, längst legendären „Blockschock“ in einem Kellerraum in der Kreuzberger Mariannenstraße, schaffte sie sich jede Menge Szeneanerkennung: „Alle haben bei uns gespielt, auch die Toten Hosen“. Aber auch jede Menge Behördenärger. Nach zwei Jahren Spaß und Kellerpogo folgte die erste Zwangsräumung. Ein fluchtartiger Umzug in einen Hinterhof am Südstern hielt die Ausschankkontrolettis weitere zweieinhalb Jahre auf Trab. Gegen die Schließung 1990, u.a. wegen falsch ausgefüllter Vergnügungsstätten-Genehmigungs-Formulare, halfen weder bilanzierte 600 Konzerte noch Solidaritätsveranstaltungen der KPD/RZ, noch 150.000 Mark Schulden.

Merkwürdig damals wie heute: immer wird Schmidt unterstellt, mit ihren Aktivitäten Nachbarn zu stören, obwohl rund um ihre Läden herum das Kulturleben pulsiert. Die Tanzschule befindet sich zwar nur zwei Eingänge weiter als die überlaufenen Hackeschen Höfe, aber bezirksrechtlich nicht mehr im Vergnügungsstättenbereich. Wer hier Clubs betreiben will, kann das entweder nur illegal oder mit geschickt erworbener Kommerz-Genehmigung.

Schmidt aber versucht sich auf dem legalen Mittelweg. Vielleicht sollte sie einmal zumindest die dreißig Jahre alten Formulare ernstnehmen: Wer bei „Schaustellungen von Personen (z.B. Tanz, artistische Vorführungen)“ naiv das Ja-Kästchen ankreuzt, der betreibt eben eine „Vergnügungsstätte“. Doch selbst die würde man in Berliner Behörden, im Prinzip, fast jedem genehmigen. Aber offenbar nicht Sybille Schmidt.