Polen führt die Gebärpflicht wieder ein

■ Das Parlament hebt die Liberalisierung des Abtreibungsrechts auf. Die Niederungen der Realität interessieren die Konservativen nicht

Warschau (taz) – Polen wird künftig neben Irland das restriktivste Abtreibungsrecht Europas praktizieren. Vor einem Jahr erst hatte die damals postkommunistische Regierung das Gesetz liberalisiert und Frauen auch dann einen Abbruch der Schwangerschaft zugestanden, wenn sie sich in einer materiellen Notlage oder schwierigen persönlichen Situation befanden. Damit ist es nun vorbei.

Die konservativen Abgeordneten der „Wahlaktion Solidarność“ (AWS), die seit den Wahlen vom 22. September die Mehrheit im Sejm, dem Abgeordnetenhaus, stellen, stimmten am Mittwoch für die Rückkehr zum Gesetz von 1993. Es gesteht den Frauen nur dann einen Abbruch der Schwangerschaft zu, wenn sie vergewaltigt wurden, wenn ihre Gesundheit akut gefährdet oder der Fötus irreversibel geschädigt ist.

Daß das Thema überhaupt wieder auf die Tagesordnung des Sejm geriet, liegt an einem Urteil des Verfassungsgerichts vom Mai. Es hatte die Liberalisierung des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt, da der in der Verfassung garantierte Schutz des Lebens unteilbar sei, also auch die pränatale Phase erfasse. Mit der sozialen Indikation habe der Gesetzgeber eine Güterabwägung zwischen dem Leben des Kindes und dem der Mutter getroffen. Die Entscheidung, der Mutter in einer materiellen oder persönlichen Notlage mehr Recht zuzubilligen als dem Fötus, sei nicht ausreichend begründet worden. Da auch die Kriterien für eine „materielle Notlage“ oder „schwierige persönliche Situation der Schwangeren“ nicht präzise definiert seien, müsse die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes als verfassungswidrig bezeichnet werden.

Der Sejm hatte nun die Möglichkeit, das Gesetz im Sinne des Verfassungsgerichts zu ändern und eine verfassungskonforme Begründung nachzureichen oder das Urteil mit einer Zweidrittelmehrheit zurückzuweisen. Andernfalls sollte das vorherige Gesetz nach sechs Monaten wieder in Kraft treten. Das ist nun geschehen.

Die Debatte im Sejm war eine reine Schau. Den Wählern sollte noch einmal gezeigt werden, wer wo steht: Die konservative AWS, die mit der liberalen Freiheitsunion (UW) die neue Regierung stellt, stimmte für den unbedingten Vorrang des ungeborenen Lebens; einige UW-Abgeordnete konnten sich vorstellen, daß in gewissen Notlagen der Frau das Recht der Entscheidung überlassen werden könnte. Und das „Demokratische Linksbündnis“, dessen Abgeordnete wieder die Oppositionsbank drücken, wollte den Frauen dieses Recht auf Selbstbestimmung in einer Notlage zubilligen.

Natürlich wiesen die Abgeordneten der oppositionellen SLD auf die fatalen Folgen des restriktiven Abtreibungsrechts hin. An den Abtreibungszahlen wird es nichts ändern, lediglich der Preis für die nunmehr illegalen Abbrüche wird steigen. Der Abtreibungstourismus in die Nachbarländer wird einen neuen Boom erleben.

Nicht berücksichtigt wurde, daß immer mehr alleinstehende Mütter ihre Kinder als Sozialwaisen in ein Heim geben müssen, weil die Männer keine Alimente zahlen, die Frauen aber als Mütter mit Kleinkindern keine Arbeit finden. Natürlich kennen auch Abgeordnete der AWS die Notlage von Frauen, deren alkoholkranke Männer sie und ihre Kinder regelmäßig verprügeln. Doch sie haben nur eine Antwort: „Gebäre! Das Kind hat ein Recht auf ein Leben in dieser Welt.“ Gabriele Lesser