Mit der V-2 ins Gestern

■ Maria Renard erzählt vom Aufwachsen in Pommern und von ihrer Jugend im Krieg

Sie hat keine Ahnung, was sie da genau tut. Die 18jährige Maria Renard überträgt Zahlen von der Wertetabelle in eine Rechenmaschine. Es ist ihr erster Arbeitstag 1943 bei Rheinmetall-Borsig in Leba. „Aber Kind, Sie berechnen Raketenbahnen. Das da ist die Flugbahn der V-2, eine unserer Wunderwaffen“, erklärt ihr am selben Abend ein Vorgesetzter. Schreibtischarbeit für den Endsieg.

Das Buch „Schwarz mit ein bißchen Gold. Eine Jugend in Pommern“von der Autorin Maria Renard ist ein 353 Seiten starkes Buch. Mehr als 50 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland hat die 1925 geborene Autorin ihren autobiographischen Rückblick verfaßt. Maria Renard hat ihr Leben lang geschrieben. Erst als Redakteurin in verschiedenen Zeitungen, später als Autorin von Kurzgeschichten und Erzählungen.

Erstaunlich ist die Fülle der Details im Buch – eine genau erinnerte und formulierte Alltagsgeschichte. Anfangs, als die Kindheit in Pommern mit rauschender See und kümmerlichen Stiefmütterchen bebildert wird, ermüdet das etwas. Je weiter aber die chronologische Erzählung voranschreitet, desto spannender wird es, ihren Stationen und den historischen Ereignissen zu folgen: Hitler, Osteinsatz, BDM und Soldatenfrau.

Autobiographie und Roman – an vielen Stellen vermischen sich beide Formen. Gerade dort, wo sich das Buch um Holocaust, FremdarbeiterInnen und selbsternannte Herrenmenschen dreht, verdichtet das heutige Wissen die Erinnerung künstlich.

Als BDM-Mädchen wird Maria auf einen Hof im ehemaligen Polen geschickt, nun Teil des Deutschen Reiches. Sie erlebt eine fremdartige Idylle, in der die Hofbewohner Polen, Bessarabier und Banater Schwaben sind.

Bis zur grausamen letzten Woche: Der „namenlose Knecht“schlägt mit der Peitsche ein Pferd blutig. Die junge Polin, die als Magd arbeitet, steckt die Katze mit ihren fünf Jungen in den lodernden Ofen. Am Abend, mit einem geretteten Kätzchen auf dem Schoß, schleicht ein Unbekannter an Marias offenem Fenster vorbei. Er ruft: „Treblinka – Treblinka – alle tott.“

susa

Maria Renard: „Schwarz mit ein bißchen Gold. Eine Jugend in Pommern“, Donat Verlag, 1998, 353 Seiten.