Karawane zum Dach der Welt

■ Neu im Kino: „Die Salzmänner von Tibet“von Ulrike Koch

Tibet ist im Kino so en vogue wie noch nie. Schon seit Capras „The Lost Horizon“(1937) war das Land immer wieder für hochromantische Filmverklärungen gut. Bald startet nun, nur wenige Monate nach Annauds „7 Jahre in Tibet“, Martin Scorseses Film über die chinesische Invasion Tibets. Daneben gibt es eine Reihe von Dokumentarfilmen – sei es über die Wiedergeburt eines Lamas, tibetanische Medizin oder den tiefen Sound der Klosterhörner. Und seltsam: Viele sind inspiriert gemacht. Wahrscheinlich kostet es so viel Mühe, solch einen Film zu realisieren, daß sich mittelmäßigen Regisseure lieber eine einfachere Aufgabe suchen.

Für „Die Salzmänner von Tibet“hat die Filmemacherin und Sinologin Ulrike Koch jahrelang recherchiert, um die wenigen Drokpas (so nennen sich die Hirtennomaden Nordtibets) überhaupt zu finden, die jedes Jahr noch mit ihren Yaks in einer Karawane an einen See ziehen, um dort das Salz abzuschöpfen. Im Film sieht man die Lastwagen, die viel schneller, viel mehr Salz vom See abtransportieren können. Sie drücken die Preise für das einst so wertvolle „weiße Gold“, so daß die Salzmänner jedes Jahr mehr Yaks verkaufen müssen, um genügend Geld für ihr Grundnahrungsmittel, die Gerste, zu bekommen. Sie können kaum noch von den Früchten ihrer Arbeit leben, ihre Tradition stirbt aus.

Deshalb konzentriert sich Ulrike Koch so gewissenhaft auf die verschiedenen Riten und Mythen der Salzmänner. Sich selber nimmt die Filmemacherin dabei ganz zurück: Es gibt weder besondere stilistische Finessen, noch die sonst übliche Erzählstimme im Off. Die Drokpas erzählen selber von der monatelangen Reise zum Salz. Und wenn sie in der geheimen Salzsprache reden, die ihre eigenen Frauen nicht verstehen können, dann bestehen selbst die Untertitel aus einer ornamentalen Geheimschrift, die wir natürlich auch nicht entziffern können. Die Salzernte ist jedes Jahr unterschiedlich. Deshalb gibt es feste Regeln und Rituale, die die Salzmänner befolgen müssen, damit die launische Göttin des Sees nicht böse wird. Frauen dürfen die Reise gar nicht machen; die Männer dürfen am See nicht streiten und nicht einmal „einen Wind fahren lassen“, sonst gibt der See das Salz nicht her. Die Karawane ist ein in sich geschlossener Mikrokosmos.

Man braucht ein Weile, um sich auf den sehr ruhigen, meditativen Rhythmus des Filmes einzustellen, aber bald spürt man, wie stimmig er dem langsamen Zug der Karawane durch die menschenlose, windige Hochebene entspricht. Die Salzernte selber wirkt dann wie ein rituelles Schneeschippen in einer Mondlandschaft. Aber kein Mystizismus: Ulrike Koch will nur zeigen, wie vier Männer und ihre 160 Yaks heute noch ganz und gar mit ihrer Tradition und Arbeit identisch sind. Wilfried Hippen

Cinema, täglich 19 Uhr