■ Leserausch
: Orient contra Okzident

Gern erzählt der Subkulturveteran Bommi Baumann von Rudolf Gelpke (1928–1972), dem Schweizer Orientalisten, den er als Sachverständigen bei einem Drogenprozeß Ende der 60er Jahre kennengelernt hatte. Das Gutachten, das Gelpke damals gab, war prima, und die Augen des Orientalisten im Gericht hätten darauf hingedeutet, daß er gerade zu war. „Da wußten wir gleich: der ist auf unserer Seite.“

Stets pflegte der anerkannte Übersetzer persischer Literatur ein Köfferchen dabeizuhaben, in dem sich Drogen aller Art befanden. Die versuchte er dann jedem aufzuschwatzen. Auf daß sich die inneren Dämonen von ihren Ketten reißen mögen. Eine unschuldige Zeit war's damals, als illegale Räusche noch nicht demokratisiert waren und fertige Junkies noch nicht zum Stadtbild der westlichen Großstädte gehörten.

1972 starb Gelpke an den Folgen eines Gehirnschlags wegen zuviel Opiums. Am bekanntesten ist sein antikolonialistisches Standardwerk „Vom Rausch im Orient und Okzident“, ein begeistertes Plädoyer für den Rausch und gegen die westliche Zweckrationalität. 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung wirken die „unzeitgemäßen Betrachtungen über das große Versprechen des Rausches“ womöglich noch unzeitgemäßer als damals. Denn die Rauschgesellschaften, von denen Gelpke spricht, gibt es inzwischen nicht mehr, und die weltweit herrschende westliche Antidrogenpolitik hat dafür gesorgt, daß in traditionellen Drogenländern Haschisch und Opium durch die westlichen Gifte Alkohol und Heroin ersetzt wurden.

Während sich die Drogenliteratur heutzutage vor allem eher defensiv gibt und – wenn sie für eine Liberalisierung eintritt – Drogen als notwendige Übel einer unschönen Gesellschaft in Kauf nimmt, feiert Gelpke den Rausch und die orientalischen Rauschgesellschaften. Er stellt die Persönlichkeitsideale von Okzident und Orient gegeneinander. Auf der einen Seite Zweckrationalität, Existenzangst, Sicherheitsdenken, Fortschrittsfetischismus, Extrovertiertheit, Kolonialismus, Denunziation der Sexualität, Nivellierung, Materialismus, starkes Ich usw.; auf der anderen : Verschwendung, Erotik, Poesie, Rausch, Mystik, Entpersönlichung etc. Auf der einen Seite Alkohol und Speed als aggressive, extrovertierende Rauschmittel, auf der anderen Opium und Haschisch als Innenweltdrogen, die notwendigerweise dem herschenden Leistungs- und Konkurrenzdenken widersprechen. Am Ende meiner Teeniezeit hatte ich derlei eigentlich als blöde verworfen. Jetzt leuchtet es mir plötzlich wieder ein. Vielleicht ist es so ähnlich wie mit dem Begriff „Selbstverwirklichung“, den Gelpke ab und an zustimmend verwendet. Während dieser Begriff seit zehn Jahren völlig unbrauchbar geworden ist und irgendwas peinlich Sprachbehindertes zwischen schlaffem Rumhängen und konfliktscheuer Esoterik meint, stand er ursprünglich auf der Seite einer in dieser Gesellschaft immer konfliktträchtigen und risikoreichen individuellen Suche nach Glück und Transzendenz. „Löst dem Pharisäer nicht / das Rätsel Rausch und Liebe / besser, daß der eitle Wicht / ahnungslos zerstiebe“, heißt es bei dem großen persischen Dichter HÛfez. Das Zitat läßt sich heute sowohl gegen den rauschgiftverachtenden Drogenkonsumismus als auch gegen die Sozialpädagogisierung des Drogendiskurses wenden.

Mein einziger, sozusagen erfolgreicher Freund erzählte neulich, daß er das Gelpke-Buch damals von seinen besorgten Eltern geschenkt bekommen hatte, die ihn damit vom Drogenkonsum abhalten wollten. Detlef Kuhlbrodt

Rudolf Gelpke: „Vom Rausch im Orient und Okzident“. Klett Cotta, 48 DM.

Wunderschön wie 1001 Nacht ist auch Gelpkes Übersetzung des persischen Liebesklassikers Nizami (1141–1202): „Die sieben Geschichten der sieben Prinzessinnen“ (erschienen bei Manesse).