Abspecken wäre angesagt

Viele Berliner verlassen ihren Kiez und bauen sich im Umland ein Eigenheim. Ein „Speckgürtel“ entsteht: Böden werden versiegelt, der Verkehr nimmt zu
■ Von Esther Kogelboom

„Die Berliner Wohnungsbaupolitik muß sich den Realitäten stellen. Und die sehen so aus: Immer mehr Bürger, die sich ein eigenes Heim schaffen wollen, wandern ins Land Brandenburg ab, denn dort sind die Preise günstiger“, so Jürgen Klemann, Senator für Bauen, Wohnen und Verkehr. Das bedeute den Verlust vieler junger, aktiver Familien, die darüber hinaus Steuerzahler seien, in nicht mehr hinnehmbarer Größenordnung. Der Schwerpunkt in der Wohnungspolitik müsse deshalb vom Mietwohnungsbau hin zum selbstgenutzten Eigentumswohnungsbau verlagert werden.

Die massive Werbung in Berlin und im Umland, die mit Slogans wie „Wohnen wie im Urlaub“ und „Hier halten Ehen länger“ das Blaue vom Himmel verspricht, scheint zu funktionieren. Immer mehr Umzugswillige, die von Berlin die Nase voll haben, suchen das Weite: eine Entwicklung, die dem Berliner Senat nicht gefällt. Die Eigentumsbildung soll forciert werden. Knapp 28.000 Berliner sind vergangenes Jahr in den „engeren Verflechtungsraum“ Berlin-Brandenburg gezogen, den sogenannten „Speckgürtel“. Laut Statistischem Bundesamt hatten 23 Prozent aller Fortzüge das Umland zum Ziel.

Betrachtet man das „Wanderungssaldo“, die Differenz zwischen Zu- und Fortzügen, bleibt Berlin mit 18.800 im Soll. Eine Studie des Erich-Prestel-Instituts im Auftrag der ostdeutschen Landesbausparkassen prognostiziert, daß bis 2010 sogar über 300.000 Berliner in das brandenburgische Umland ziehen. Der Bund fördert den Erwerb von Wohneigentum mit der Eigenheimzulage, die sich aus der Grünförderung (maximal 100.000 Mark), der Kinderzulage (1.500 Mark pro Jahr bei einer Laufzeit von 8 Jahren) und der Ökozulage zusammensetzt. Die Ökozulage hat das Ziel, einen Anreiz zum Energiesparen zu geben und den CO2-Ausstoß zu senken. Vorraussetzung für diese Zulage sind der Einbau von energiesparenden Techniken wie Wärmepumpen oder Solaranlagen. Ein Neubau mit „Niedrigenergiehaus- Standard“ wird vom Staat mit 400 Mark pro Jahr belohnt.

Der Senat Berlin hält mit seinen „Eigentumsstrategien Berlin 2000“ dagegen und fordert die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften dazu auf, „ihr Potential für die Strategien einzusetzen und den Verkauf von Wohnungen aus dem Bestand an die Mieter zu forcieren und leere Wohnungen in ihren Häusern entsprechend zu vermarkten.“ Außerdem kündigt der Senat an, in den Siedlungsgebieten an den Rändern der alten Dorfanlagen im Osten zusammen mit den Anliegern die noch fehlende Infrastrukturelle Versorgung wie Schul- und Kitaplätze zu ergänzen.

Um Architekten und Unternehmer an der Erhöhung der Eigentümerquote in Berlin zu beteiligen, wurde ein europaweiter Architekturwettbewerb mit dem Thema: „Das städtische Haus“ ausgeschrieben. Ziel des Wettbewerbs war die Entwicklung eines Berlin- spezifischen Bautyps für verdichtetes Wohneigentum zum Baukostenfestpreis von 200.000 Mark. Alle preisgekrönten Vorschläge sind zur Zeit in den Räumen der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr (Berliner Str. 37, Tegel) zu sehen. Alternative und ökologisch tragfähige Stadtrandsiedlungen fallen bei den im allgemeinen Bauboom entstandenen Neubauten kaum ins Gewicht. Energetisch sinnvolle Lösungen werden nicht angestrebt, um die Kaufpreise kurzfristig gering zu halten.

Dennoch gibt es Pioniere wie Klaus- Peter Kurch vom Verein Ökostadt e.V., der sich der Gemeinde Lychen, 90 Kilometer von Berlin, verschrieben hat. Dort hat der Verein ein Anwesen von 800 Quadratmetern gekauft und will ein Haus ökologisch sanieren, um es zu einem Komplex aus Traveller-Hotel, Kulturcafé und Informationszentrum auszubauen. Kurch: „Interesse unter den Anwohnern wurde uns bereits signalisiert. Allerdings“, so räumt er ein, „direkte Pendelmöglichkeiten nach Berlin bestehen nicht. Unser Angebot richtet sich an Menschen, die im Grünen leben und arbeiten wollen, die Stadtflüchtlinge sind.“

Susanne Salinger vom „Bund für Umwelt- und Naturschutz“ (BUND) sieht diese Tendenz eher kritisch: „Der Grüngürtel ist ein Konzept, das um die Jahrhundertwende zum Schutz der Naherholungsmöglichkeiten Berlins entstanden ist.“ Diese „Durchlüftungsadern“ der Stadt sieht sie nun in Gefahr. Dadurch, daß sogar Kleingärten versiegelt und zu Bauflächen umdeklariert werden, werde die grüne Lunge der Hauptstadt immer kleiner. „Den möglichen Konsequenzen für unsere Umwelt kann gar nicht genug Bedeutung beigemessen werden“, gibt sie zu bedenken und wünscht sich eine bedächtigere Planung.

Dieser Ansicht ist auch Hartwig Berger (Bündnis 90/Die Grünen). Er fordert eine strikte Politik der Siedlungsbegrenzung , um die waldreichen Gegenden des Grüngürtels möglichst wenig zu belasten. Die Bauentwicklung am Nordrand Berlins bezeichnet er als „märkischen Kuhhandel“. „Brandenburg hat nach dem Mauerfall die Berliner Fehlplanung akzeptiert, dafür drückt nun Berlin ein Auge zu.“ Gegen größere Siedlungsprojekte am Stadtrand habe er aber prinzipiell nichts einzuwenden, solange die bereits vorhandenen Siedlungsflächen verdichtet und die Verbindungen des öffentlichen Nahverkehrs reaktiviert werden.