König Kunde wird der Hof gemacht

Wer sich ökologisch ernährt, hat beim Einkauf die Qual der Wahl zwischen drei Modellen: Bioläden, Food-Coops und Einkaufskooperativen unterscheiden sich nicht unerheblich in Qualität, Beratung und Preisen  ■ Von Holger Wicht

Ein 750-Gramm-Glas Öko- Nuß-Nougat-Creme namens „Samba“ – das ist doch ganz nach dem Geschmack des studentischen Leckermäulchens. Nur: Die letzten Bafög-Märker in den Bioladen tragen? Nicht selten bleibt es dann doch beim billigen Aldi-Aufstrich.

Damit beim Einkauf des Studentenfutters weder Qualität noch ökologische Korrektheit auf der Strecke bleiben, gibt es seit April dieses Jahres an der Humboldt- Uni eine studentische Food-Coop, getauft auf den Namen „Futterkollektiv“, nachdem für gelungene Anregungen zur Benennung via Internet besagtes Glas Nuß-Nougat-Creme als Preis ausgesetzt worden war. Die Initiative hat mittlerweile rund 60 Mitglieder und öffnet die Verkaufsräume in der Dorotheenstraße täglich.

Gemeinsamer Einkauf bei Bio- Bauern aus dem Umland, Organisation und Verteilung im Umland – das junge Modell an der Humboldt-Uni zeigt, daß das ehrwürdig ergraute Konzept der Food-Coop noch immer funktioniert: Wer wenig Geld, dafür aber ausreichend Freizeit hat, muß selber ran, um sich mit Bio-Food zu versorgen. Kühl- und Lagerräume müssen beschafft, Kontakte zu Erzeugern hergestellt und gepflegt werden. Dafür entfällt der Preisaufschlag des Einzelhandels, man kann dem Erzeuger bisweilen persönlich die Hand schütteln und auf dem Hof der Wahl selber nach dem Rechten schauen.

Mehr als 50 Food-Coops gibt es derzeit in Berlin – fast alle mit langen Wartelisten für Neuaufnahmen. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) weist daher in seiner Info-Broschüre „Bio-Direkt“ nicht nur auf Öko-Märkte, Bioläden und Vollkornbäckereien der Berliner und Brandenburger Region hin, sondern regt auch zur Neugründung von Kooperativen an: „Haben Sie noch nie beim Einkaufen gelacht? Gründen Sie doch eine Food-Coop!“ Wer dem Gedanken des kollektiven Großeinkaufs keine komischen Aspekte abgewinnen kann, keine Zeit oder Lust hat, beim Kistenstapeln im Kühlraum in Schweiß zu geraten, sich den Einkauf im Bioladen aber nicht leisten kann oder will, hat mittlerweile die Möglichkeit einer Mischform zwischen Food-Coop und Einzelhandel: Der Trend geht zur „Einkaufskooperative“, zum „Mitgliedsladen mit mehreren hundert Mitgliedern, der die Preisvorteile der Food-Coop mit dem Service des Bioladens verbindet – beides freilich mit Abstrichen. „Fortschritt“ nennt sich ein solches Projekt in Prenzlauer Berg, Mitte und Schöneberg, und in Kreuzberg knüpft eine „LPG“ gleich noch an eine dritte Tradition an.

Das Prinzip ist denkbar einfach: Eine Einstandseinlage sichert das Kapital, Mitgliedsbeiträge zwischen 25 und 30 Mark pro Person und Monat halten den Laden am Laufen. Das Prinzip der Mitgliedschaft hält das unternehmerische Risiko der Organisation gering: Das Geschäft ist besser kalkulierbar als auf dem freien Markt, und Laufkundschaft spielt keine Rolle, so daß auf eine exponierte, also teure Lage verzichtet werden kann. Nicht selten findet man die Niederlassungen der Kooperativen in Hinterhöfen. Diese ökonomischen Vorteile werden an die Mitglieder weitergegeben. Das lassen sie sich freilich auch den größten Vorteil des normalen Einzelhandels kosten: Einkaufen wann, wo und soviel oder sowenig man will. Besonders Alleinstehende haben oft Schwierigkeiten, soviel Bio-Food zu konsumieren, daß sie ihren Beitrag wieder einsparen. So werden die Mitgliedsläden vor allem von jungen Familien genutzt, die in den Genuß besonders günstiger Beiträge kommen.

Junge, ernährungsbewußte Familien gehören auch zur Klientel der Bioläden. Der Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Formen des Handels bleibt nicht aus. Einige Bioladen-Betreiber fühlen sich sogar in ihrer Existenz bedroht. Viele beklagen zudem, in den Medien nur noch als die teurere Variante des Naturkost-Einzelhandels aufzutauchen, nachdem sie die Naturkostszene in langwieriger, schlecht bezahlter Kleinarbeit aufgebaut hätten.

In der aktuellen Ausgabe des Monatsblattes „Der Rabe Ralf“ von der Grünen Liga kritisieren einige Bioladner vor allem die expandierenden Ketten von Einkaufsgemeinschaften wie „Fortschritt“: Deren „Kunden(ab)werbung“ habe für die Bioläden Preisverfall und Personalentlassungen zur Folge. Michael Weiß vom „Uckermarkt“ in Prenzlauer Berg, Mitbegründer einer Interessengemeinschaft Berliner Bioladeninhaber, weist dezidiert darauf hin, daß in Bioläden in der Regel extrem knapp kalkuliert werde. Vorausgegangen war in der September-Ausgabe des „Raben“ ein ausnehmend positiver Bericht der Jugendnachrichtenagentur „Sinnflut“ über die Schöneberger Einkaufsgemeinschaft „Ährensache“. Darin hatte es geheißen: „Bioläden gehören für viele Studenten und Normalverbraucher zum unerreichbaren Luxusterrain – damit ist jetzt Schluß.“ Diese Aussage wollten zahlreiche Berliner Bioladeninhaber nicht unerwidert lassen. Denn so wichtige Aspekte wie eine fundierte Beratung würden vernachlässigt, wenn die Preise zu sehr in den Vordergrund gestellt würden. Ute Quintilius von „Ährensache“ hingegen verteidigt am Runden Tisch des Öko-Fachblatts ihr Projekt als „ein neues Unternehmenskonzept“, in dessen Rahmen ökologische Beratung sehr wohl möglich sei.

Die jugendlichen Nachrichtenmacher von „Sinnflut“ freuen sich derweil, eine Debatte entfacht zu haben, und geben eine Parole aus: „Übertragt eure gemeinsame Auffassung von einer ökologischen Lebensweise auf eine sozial lebenswerte, anstatt euch durch fiese kleinkapitalistische Querelen gegenseitig fertigzumachen.“