Vom „Engel“ zum „Feuerteufel“

Armin S. (37) hat über 350 Brände gelegt. Nach mehrjähriger Therapie im Maßregelvollzug fühlt er sich jedoch von seiner Pyromanie bis auf ein „Restrisiko“ geheilt  ■ Von Plutonia Plarre

Feuer war für ihn Macht über Leben und Tod. Er legte zu jeder Jahreszeit Brände, aber die Weihnachtstage waren besonders heiß. „Der Anblick von brennenden Kerzen hat mich in einen Rauschzustand versetzt“, bekennt der 37jährige Armin S., Berlins schlimmster Brandstifter.

Auf das Konto des Bau- und Möbelschreiners gehen mehr als 350 Brände, die er zwischen 1977 und 1990 in Süddeutschland und Berlin gelegt hat. Drei Menschen starben in den Flammen. Der Sachschaden betrug über 100 Millionen Mark. Wenn Armin S. nicht seine Festnahme provoziert und eine Lebensbeichte abgelegt hätte, wäre ihm die Kripo vermutlich nie auf die Schliche gekommen. Er war es, der das Blockhaus Nikolskoe im Grunewald bis auf die Fundamente niederbrannte. Er hat das Reetdach des historischen U-Bahnhofs Dahlem-Dorf angesteckt und die Batteriefabrik Sonnenschein in Neukölln ausgeräuchert. Der Tischler, dem politische Motive völlig fern sind, war es auch, der bei der Straßenschlacht am 1. Mai 1987 in Kreuzberg den Supermarkt Bolle entzündete und nicht, wie lange angenommen, Autonome. Gleiches gilt für das Großfeuer bei Bilka am Kottbusser Damm. Armin S. zündelte sogar auf Tankstellen und auf dem Dach der Kreuzberger Feuerwehr.

Seit er sich vor sieben Jahren selbst aus dem Verkehr gezogen hat, befindet sich Armin S. im geschlossenen Maßregelvollzug der Karl-Bonhoeffer-Nervenheilanstalt. Weil er an Pyromanie leidet, hatte ihn das Landgericht 1991 für schuldunfähig erklärt. Wann der schlanke Mann mit den blonden lockigen Haaren entlassen wird, steht in den Sternen. Seine Unterbringung ist zeitlich nicht befristet. „Die chronische Form der Pyromanie ist therapeutisch schwer zu beeinflussen“, sagt Chefarzt Rolf Bayerl. Von den 320 Patienten im Maßregelvollzug seien 40 wegen Brandstiftung eingewiesen worden. Aber nur maximal zehn Patienten seien „echte Pyromanen“, die aufgrund einer chronischen Verhaltensstörung zum Feuerlegen getrieben werden. Selbst in dieser Gruppe ist Armin S. ein Sonderfall. Der Anblick der lodernden Flammen bereitete ihm außer Lust- und Machtgefühlen auch sexuelle Befriedigung bis hin zum Samenerguß.

Armin S. selbst hat den Eindruck, daß er bereits zu 90 Prozent geheilt sei. „Wenn ich früher Brandszenen im Fernsehen gesehen habe, habe ich immer gedacht, ich hätte das besser gekonnt“, erzählt der nicht unsympathisch wirkende Mann. Doch jetzt würden ihn Bilder von Feuersbrünsten nicht mehr erregen. Bei gelegentlichen Ausgängen unter Beaufsichtigung merke er jedoch, daß da immer noch ein „Restrisiko“ sei. „Früher habe ich immer auf die Dächer geschaut, wenn ich durch die Stadt gegangen bin. Das ist bis heute so geblieben. Ich werde das Gefühl nicht los, dabei nach etwas zu suchen, das einen Brand erschweren würde.“

Neben dem „sexuellen Kick“ war es „der übergroße Haß“ auf seine Familie, der Armin S. seit seinem 17. Lebensjahr zum Feuerlegen trieb. Der 1960 in Villingen- Schwennigen (Baden-Württemberg) als achtes von neun Kindern geborene Junge wurde zu Hause wegen seiner blonden Locken „das Engelchen“ genannt. Aber seine Kindheit war die Hölle.

Der Vater, ein stets betrunkener Maurer, tyrannisierte die Familie. Die Mutter, eine Hausfrau, schleppte ständig neue Liebhaber an, die alle „Onkel Franz“ hießen. Der älteste Bruder wurde vom Vater monatelang „in einen Verschlag zum Schweinetransportieren“ gesperrt, nachdem er der Mutter bei einem gewalttätigen Streit zur Seite gesprungen war. Der viereinhalbjährige Armin versorgte ihn heimlich mit Essensresten. Eines Tages ertappte ihn der sturzbesoffene Vater dabei und stieß ihm eine zerbrochene Bierflasche ins Gesicht. Seither ist Armin S. auf dem linken Auge blind.

Das Jugendamt nahm die Kinder aus der Familie, aber das katholische Heim war auch nicht besser. „Dort herrschten die gleichen Erziehungsmethoden“, erinnert sich Armin S. „Ich wurde ziemlich oft nackt mit Händen und Füßen an ein Kreuz gefesselt und mit einem Rohrstock verprügelt.“ Aus dem Kind wurde ein „aufsässiger Junge“, der fortan „gegen jede Regel verstieß, die es gab“.

Aus Wut auf einen Lehrer legte Armin S. als 17jähriger Lehrling zum ersten Mal Feuer. Es traf die Scheune eines Bauern in der Nähe von Augsburg. Als die Flammen hochschlugen, spürte er, daß ihn das erregte. Bald darauf steckte er den Hühnerstall seiner Oma an. In Lindau am Bodensee und in Stuttgart, wo er sich später als Gelegenheitsarbeiter verdingte, legte er weit über 50 Brände: Boote, Scheunen, Häuser. Ob die Gebäude bewohnt oder Tiere im Stall waren, interessierte ihn nicht. Nachdem er gezündelt hatte, wartete er in einer Kneipe auf die Sirene der Feuerwehr und mischte sich dann unter die Schaulustigen.

Anfang der 80er Jahre zog Armin S. nach Berlin. Lange Zeit geschah nichts, weil er mit Brandbeschleunigern herumexperimentierte. Aber dann legte er im Schutz der Anonymität der Großstadt los. Daß bei dem Brand im Blockhaus Nikolskoe zum ersten Mal ein Mensch ums Leben kam, hinderte ihn nicht am Weitermachen. Im Gegenteil: Es ärgerte ihn, daß ein anderer der Tat verdächtigt wurde und in Untersuchungshaft kam. 1988 starben bei einem Brand in der Reichenberger Straße zwei weitere Menschen. Die Nachricht habe ihn in eine große Verzweiflung gestürzt, sagt Armin S. Er habe manchmal mit Selbstmordabsichten bis zu den Knien in den Flammen gestanden. „Ich brauchte Hilfe und wollte nicht mehr weitermachen.“

Im Sommer 1990 war es schließlich soweit. Eigentlich wollte Armin S. aus Berlin wegtrampen. Statt dessen zündete er in der Nähe des alten Kontrollpunktes Dreilinden ein BVG-Wartehäuschen an, hinderte einen Taxifahrer am Löschen und wartete seelenruhig auf die Polizei. Erst als Armin S. die Kripo an sämtliche Tatorte führte, an die er sich noch erinnern konnte, ging den Beamten ein Licht auf: Armin S. war der größte Brandstifter, den es je in Berlin gab. Außer Erleichterung empfand Armin S. auch Genugtuung. Endlich wurde er als das erkannt, was er jahrelang auf einem Sticker auf Berlins Straßen zur Schau gestellt hatte: Als „einzigartiger Feuerteufel“.