Libyer redet über Pullach, nicht Tripolis

Im „La Belle“-Prozeß macht der angeklagte frühere Diplomat Eter dunkle Andeutungen über den BND. „Alles wurde mit dem deutschen Geheimdienst besprochen“, sagt er, „was ich sagen darf und was nicht“  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

So richtig schlau wird man aus dem Angeklagten Musbah Abdulgasem Eter nicht. Der 40jährige frühere libysche Diplomat sitzt hinter Panzerglas, über Kopfhörer werden ihm die Fragen des Gerichts ins Arabische übersetzt, zwei weitere Dolmetscher wiederum wechseln sich beim Übertragen seiner Aussagen ins Deutsche ab. Fünf Verhandlungstage ist es her, daß Eter spektakulär seine Aussagen widerrief, die Libyen im Prozeß um den Sprengstoffanschlag auf die Diskothek „La Belle“ im April 1986 schwer belastet hatten.

Am Donnerstag nachmittag will Musbah Eter nun aussagen, wie es zu dem ominösen Treff auf Malta kam, bei dem er in den Räumen des deutschen Botschafters erstmals seine Libyen belastenden Aussagen machte. Malta ist einer der Schlüssel im Prozeß: Dort berichtete Eter im Detail, daß die heute mit ihm angeklagten Yasser Chraidi, Ali und Verena Chanaa und Andrea Häußler das Attentat durchgeführt haben. Und daß der libysche Geheimdienst als Auftraggeber Pate stand und die Attentäter dafür entlohnt hat.

„Hohes Gericht“, hebt Eter an, „im Namen Allahs, diese Sache sollte man am Anfang besprechen. Aber das wurde mir nicht erlaubt.“ Das Malteser Treffen – den Akten zufolge fand es am 10. September vergangenen Jahres statt – „war eine Konstruktion des Bundesnachrichtendienstes“. Dies sei den deutschen Behörden bekannt. Und überhaupt: Malta sei gar nicht der erste Treff mit den bundesdeutschen Behörden gewesen, der erste Kontakt fand nach Eters Aussage früher in Tunis statt. „Alles wurde mit dem deutschen Geheimdienst besprochen“, sagt er, „was ich sagen darf und was nicht“. Konkreter wird Eter aber nicht.

Der Anschlag auf die Diskothek, bei dem in den frühen Morgenstunden des 5. April 1986 drei Menschen starben und über zweihundert zum Teil schwer verletzt wurden, das ist für Eter „die Sache mit dem Nachtlokal“. Und über diese Sache will er in der deutschen Botschaft auf Malta im Beisein von Oberstaatsanwalt Detlef Mehlis und dem Kriminaloberrat Uwe Wilhelms vom Berliner LKA nur „allgemein, nicht in der Form von Frage und Antwort“ gesprochen haben. Über die damals gefertigte, vom Botschafter unterzeichnete Vernehmungsniederschrift klagt Eter: „Viele Sachen sind hineingekommen, ich weiß nicht, wie. Viele Dinge, die ich überhaupt nicht gesagt habe, das ist die Wahrheit.“ Wenigstens heute soll es so sein, denn vor 15 Monaten auf Malta habe er während des rund zweistündigen Gesprächs „absichtlich davon Abstand genommen, die ganze Wahrheit zu erzählen“.

Zwei Motive führt Musbah Eter dafür an. Zum einen hätten der deutsche Staatsanwalt und die „deutschen Geheimdienste“ den „Wunsch“ gehabt, Libyen als Anstifter des Attentats vorzuführen. Zum anderen habe er sich rächen wollen an dem Mitangeklagten Ali Chanaa, denn der habe seine Karriere und seine Familie zerstört. „Heimtückisch und feige“, schießt es aus ihm heraus, „ich kann diese Tat nur mit den schlimmsten Worten bezeichnen.“ Chanaa hat Eter vor Jahren bei der Stasi verpfiffen.

In Ost-Berlin lernte Eter seine heutige Ehefrau kennen, 1987 heiratet das Paar im libyschen Volksbüro nach muslimischem Ritus. Eters Akkreditierung am Volksbüro in Ost-Berlin lief aus, beide beschlossen, nach West-Berlin überzusiedeln. Doch alle Bemühungen für eine Übersiedlung der Ehefrau Manon scheiterten. So beschließen beide Anfang 1988, die Ehefrau Manon in einer großen Holzkiste versteckt als Diplomatengepäck nach West-Berlin zu schmuggeln. Ali Chanaa, damals ein guter Freund von Musbah Eter, wurde eingeweiht, er sollte beim Transport der Kiste helfen. Er habe gewußt, sagt Eter heute, daß Chanaa für den ostdeutschen Staatssicherheitsdienst arbeitete, „ich habe aber nicht geglaubt, daß er das verrät“. Die Flucht scheiterte am 28. Februar 1988 auf dem Bahnhof Friedrichstraße, die Stasi fing Eter und die Kiste mit der hochschwangeren Ehefrau ab. Manon Eter wurde später nach West- Berlin abgeschoben, Musbah Eter in Handschellen per Flugzeug nach Tripolis gebracht.

Ali Chanaa habe „große Verluste verursacht“, klagt Eter vor Gericht. Deswegen habe er den Wunsch gehabt, daß Chanaa „sein ganzes Leben im Gefängnis bleibt“. Dessen ehrlose Tat habe seine Aussage auf Malta „beeinflußt“. Chanaa wurde nach der Wende wegen „politischer Verdächtigung“ vom Berliner Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er sitzt neben Eter auf der Anklagebank hinter dem Panzerglas. Mit versteinerter Mine verfolgt er die Aussagen des einstigen Genossen, der ihn erst belastet und jetzt wieder entlastet hat. Gegenüber im Saal sitzt Oberstaatsanwalt Detlef Mehlis, der auf Malta der Vernehmung Eters beiwohnte. Dessen Sinneswandel erklärt auch er mit Druck. Nur sind es für Mehlis nicht deutsche Behörden, er vermutet vielmehr, der libysche Geheimdienst könne der Familie Eters mit Repressalien drohen. Am Dienstag wird die Vernehmung des umgefallen Hauptbelastungszeugen fortgesetzt. Schon einmal hat der Vorsitzende Richter Peter Marhofer erklärt: „Ich habe noch viele Fragen.“ Dabei wird es wohl bleiben.