„Unser gesamtes Wirtschaftssystem muß hinterfragt werden“

■ Yoon Young Mo, der Sprecher der zweitgrößten Gewerkschaft in Süd-Korea, äußert sich zu dem Ausgang der Präsidentschaftswahl

Yoon Young Mo ist der Sprecher des zweitgrößten südkoreanischen Gewerkschaftsbundes KCTU (Korean Confederation of Trade Unions). Er ist der engste Mitarbeiter des Gewerkschaftsführers Kwon Young Gil, der in diesem Wahlkampf ebenfalls für das Präsidentenamt kandidiert hatte und im Januar diese Jahres erfolgreich gegen eine Liberalisierung des Arbeitsgesetzes gekämpft hat.

taz: Herr Yoon, freuen Sie sich als Gewerkschafter über den Sieg von Kim Dae Jung?

Yoon Yong Mo: Nur ein bißchen. Kim Dae Jung ist unter den drei favorisierten Anwärtern für uns Gewerkschafter sicher der beste Ansprechpartner. Nun muß er sich aber beeilen und seine Wahlversprechen auch wahrmachen. Darin hat er zum Beispiel erst die Schaffung einer Arbeitslosenversicherung zugesagt, bevor er Massenentlassungen in südkoreanischen Betrieben erlauben will.

Glauben Sie, daß Kim seine Wahlversprechen mit den strengen Auflagen des Internationalen Währungsfonds vereinbaren kann?

Der IWF fordert eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Das heißt im Klartext, daß bisher unerlaubte Entlassungen in Großbetrieben schon Anfang 1998 zur Regel würden. Wir gehen davon aus, daß im nächsten Jahr rund 500.000 Stellen abgebaut werden. Erstmals werden nicht alleine Fabrikarbeiter betroffen sein, sondern vorwiegend Büroangestellte, die auf bisher als lebenslang garantierten Stellen saßen. Solche Leute kriegen höchsten die ersten vier Monate das halbe Monatsgehalt als Arbeitslosengeld ausbezahlt, danach sind sie auf sich selbst gestellt. Soziale Spannungen sind also vorprogrammiert, wenn Kim nicht schnell ein staatliches Sicherungsnetz einführt.

Sind die Gewerkschafter denn grundsätzlich gegen die IWF-Auflagen?

Nein, das IWF-Programm ist nur ein Katalysator für Probleme, die schon seit Jahren den Arbeitsmarkt in Süd-Korea beschäftigen. Es ist für uns eindeutig auch eine Chance in Zukunft mehr Mitsprache in der Regelung der Arbeitsverhältnisse zu erhalten. Mit den IWF-Auflagen muß unser gesamtes Wirtschaftssystem hinterfragt werden. Wagt es Kim Dae Jung, diese Diskussion in die Wege zu leiten, dann kann über die negative Rolle und die Verantwortung der Großkonzerne, der Banken und der Bürokratie für die gegenwärtige Wirtschaftskrise gesprochen werden. Es geht darum, daß nun Schichten in den politischen Prozeß integriert werden, die bisher nichts zu sagen hatten. Das sind die Gewerkschaften und die Studenten, die in Süd-Korea für die Jugend stehen.