Yilmaz inszeniert Kampf der Kulturen

■ Der türkische Ministerpräsident und die Bundesregierung geraten über den türkischen Wunsch nach EU-Beitritt aneinander. Yilmaz schimpft, Kohl wolle die EU in einen „Club von Christen“ umwandeln

Istanbul/Berlin (taz) – Bei seinem Besuch in Washington hat der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz die Bundesregierung und Kanzler Helmut Kohl scharf attackiert. Der Kanzler wolle die EU in einen „Club von Christen“ umwandeln, sagte Yilmaz in Washington vor einem Treffen mit US-Präsident Bill Clinton. Kohl habe bei einem Treffen christdemokratischer Parteichefs im März erklärt, daß die EU auf christlichen Prinzipien fuße und in der Union kein Platz für ein Land sei, das diese kulturelle Identität nicht teile. Damit sei die islamische Türkei gemeint gewesen.

Die Bundesregierung wies die Vorwürfe zurück. Regierungssprecher Peter Hausmann sagte gestern in Bonn, Deutschland und speziell Kanzler Kohl seien „erprobte Freunde der Türkei“ – er bestritt jedoch nicht, daß Kohl die von Yilmaz zitierte Äußerung tatsächlich getan hat. Der Spiegel hatte Kohl seinerzeit mit den Worten zitiert, ihm sei „aus dem Erdkundeunterricht nicht bekannt, daß Anatolien ein Teil Europas ist“. Man müsse den Türken sagen, daß die Türkei nicht zu Europa gehöre.

Der SPD-Außenpolitiker Günter Verheugen zeigte Verständnis für Yilmaz. In einem Interview mit Deutsche Welle TV sagte Verheugen: „Herr Yilmaz hat Anlaß zu diesem Vorwurf.“ Bei dem zitierten Treffen im März sei „in der Tat gesagt worden, die Türkei könne wegen kultureller und religiöser Unterschiede nicht Mitglied werden“. Das sei eine Doppelzüngigkeit gegenüber der Türkei. Dadurch trage die Bundesregierung ein Stück Verantwortung für die Angriffe des türkischen Ministerpräsidenten.

Yilmaz hatte bereits auf seinem Flug in die USA damit gedroht, daß die Türkei ihren Antrag auf EU-Mitgliedschaft zurückziehen werde, falls sie nicht in die Liste der Beitrittskandidaten aufgenommen werde. Am vergangenen Wochenende hatten die EU-Mitgliedsstaaten bei ihrem Gipfeltreffen in Luxemburg genau das verweigert.

Yilmaz' scharfe Worte sind neu im problematischen Verhältnis zwischen EU und der Türkei. Ohne Zweifel hat er die innenpolitische Lage in der Türkei vor Augen. Denn die Mehrheit der türkischen Medien jedenfalls klatschte dem Ministerpräsidenten Beifall, Kommentatoren riefen zum Boykott deutscher Waren auf, und Yilmaz kann sich als Verteidiger der nationalen Interessen feiern lassen.

Mit der Mobilisierung nationalistischer Momente versucht Yilmaz auch zu verhindern, daß die seit jeher europafeindlichen Islamisten von der politischen Krise profitieren. Einige Kommentatoren vermuten gar, daß Yilmaz jetzt baldige Neuwahlen anstrebe, um seinen Popularitätsaufschwung auszunutzen. Ömer Erzeren/pkt

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