Penetration im Plauderton

■ Gut gemeint, aber unausgegoren: Die KZ-Orgie „Ein Monat in Dachau“von Vladimir Sorokin hatte im Malersaal des Schauspielhauses Premiere

Kann man de Sades exzessive Prosa mit den Bildern der KZ-Folter erneuern, ohne damit das Subjekt des Entsetzens über die Grenze der Verharmlosung hinab ins Entertainment zu ziehen? Ist es legitim, eine angenommene sado-masochistische Beziehung zwischen Deutschland und Rußland durch die Bilder eines Folterurlaubs im KZ Dachau zu illustrieren? Schärft dieser Kunstgriff die Sinne oder werden hier nur ein weiteres Mal Deiche gegen das Weltmeer des Schulterzuckens flachgelegt?

Vladimir Sorokins Erzählung Ein Monat in Dachau, die Dimiter Gotscheff in ein Theaterstück verwandelt hat, berichtet von der freiwilligen Qual eines russischen Schriftstellers, der sich in 26 Dachauer Zellen von einer doppelköpfigen Gretchen/Margarete-Gestalt und SS-Schergen foltern läßt. „Sich dem Totalitarismus mit Gewinn hingeben“lautet das Motto der Schmerzensehe, wobei die Rollen eindeutig verteilt sind. Dem Mann werden Fingernägel ausgerissen, er wird von einem Schäferhund vergewaltigt, muß auf das Bild seiner Mutter kacken und das Menschenfleisch von einem russischen Mädchen und einem jüdischen Jungen essen. Die Frau lackiert sich derweil die Fingernägel, wirft sich in laszive Posen, erscheint im weißen Hochzeitskleid und verlangt nach Penetration.

Der Ungeheuerlichkeit des Darzustellenden angemessen, wird der Text von den beiden Hauptdarstellern Almut Zilcher und Samuel Fintzi weniger gespielt als gesprochen. In der Chronologie der Zellen wechselt diese Beschreibung vom lustvollen Gebetston zum liebevollen Ausmalen masochistischen Duldens, vom nonchalanten Erzählstil zur Albernheit. Der Gequälte benutzt mehr das Repertoire des Klamauks, die Herrin die Kälte grausamer Verlockungen. Dazu fällt Geschichte aus Koffern: Fotografien, Brillengestelle, Zeitungen verlängern den Prozeß in die Erinnerung. Doch in den szenischen Übergängen wird alles Theatralische ausgestellt, um überdeutlich klarzustellen, daß dies keine Dokumentation, sondern ein Essay ist. Zilcher und Fintzi verfallen in Kantinenton.

Verdrängte sexuelle Vorstellungsebenen zu heben, die durch die offizielle Geschichtsschreibung streng tabuisiert oder kanonisiert wurden, so mag das Anliegen von Autor und Regisseur lauten. Aber in dieser Bearbeitung wirkt die Grausamkeit oft arg konstruiert, die Distanzierung durch Emotionslosigkeit und Verjuxung etwas hilflos. Vor allem aber schafft die Reihung gleichgewichtiger Szenen mit adäquatem Inhalt eine Wahrnehmungsmonotonie, die auch die unterschiedlichen Regieeinfälle nicht ausstellt. Jede weitere Aufzählung von Grausamkeiten dezimiert die Provokation. Der angekündigte Dialog über sexuelle Macht in der gewalttätigen Politik verwandelt sich in ein frommes Spiel über libidinöse Notstände.

Kees Wartburg

Weitere Vorstellungen: Mo, 29. Dezember sowie Di, 30. Dezember, jeweils 20 Uhr, Malersaal

Die Aufzählung von Grausamkeiten kann die Provokation dezimieren: Vladimir Sorokins „Ein Monat in Dachau“in der Inzsenierung von Dimiter Gotscheff

Foto: Sonja Rothweiler