„Stand-by“für die Seele

■ Deutschlands einziger „mitfahrender Pastor“Walter Schär muß auch schon mal stundenlang mitschweigen, bevor die Seeleute ihm ihr Herz ausschütten

Erik Baumgarten ist zweifellos das Kommunikationszentrum an Bord der „Feedercadet“. Seine Küche liegt zwischen den Messen für Mannschaft und Offiziere. Bei ihm sprechen sich viele aus, mal an langen Abenden, mal im Vorübergehen. Wenn Walter Schär auf das Schiff kommt, ist es umgekehrt. Dann kann der Koch beim einzigen „mitfahrenden Pastor“der in Bremen beheimateten Deutschen Seemannsmission „abladen“. Schär, der von Bremerhaven aus seine Törns plant, ist für den Smutje manchmal so etwas wie ein „seelischer Mülleimer“.

Baumgarten schätzt den Seemannspastor als Partner, bei dem „im Gespräch auf Kammer mal der ganze Ballast runtergeht“. Der 43jährige kocht auf einem Auto-transporter, der zwischen Bremerhaven, Hamburg, Nord-Ostsee-Kanal und Finnland Linie fährt. Zur Crew von Kapitän Jens-Holm Bruns gehören neben sieben Deutschen vier Spanier, ebensoviele Portugiesen und ein Kroate.

Das Geschäft mit den Autotransportern, unter Seeleuten „Schuhkartons“genannt, boomt. Die Reederei freut sich über ein volles Auftragsbuch. „Da muß sich einer auf den anderen verlassen können“, sagt Kapitän Bruns, der schon 37 Jahre zur See fährt. Schär teilt als Betriebsseelsorger auf Zeit den Alltag an Bord. Er will sich dem eingespielten Team nicht aufdrängen, sondern das Leben erleichtern und „da sein, wenn Not am Mann ist“. Wenn es sich anbietet, arbeitet er als „Assi“, „Deckshand“oder „Kochsmaat“mit. Bekehren wolle er niemanden.

Manchmal vergeht einige Zeit, bis das Eis gebrochen ist. „Wer zur See fährt, ist in einer eigenen Welt gefangen“, beschreibt Schär die Gefühlswelt der Seeleute. In den Ohren hängt meistens das gleichförmige Stampfen der Maschine, die den Schiffsrumpf in immerwährende Vibrationen versetzt. Die Monotonie der Dieselmotoren scheint ähnlich einem Metronom den Takt des Lebens an und unter Deck vorzugeben. Dann steht Schär schon mal stundenlang neben einem Mann. Sie schweigen gemeinsam, bis das Gespräch reif ist. Schär hält sich bereit, steht „stand by“für die Seele: Das Wichtigste, das einbringen könne, seien seine Ohren, sagt er: „Und viel Zeit für die Seeleute“.

Er ist der verlängerte Arm der Seemannsheime in den Häfen, die von Mannschaften und Offizieren wegen der verkürzten Liegezeiten ihrer Schiffe immer seltener besucht werden können. An Bord kann der 55jährige Seemannspastor ohne Eile mit den Männern sprechen. Dabei geht es neben der Arbeit vor allem um Fragen von Partnerschaft, Familie, Heimweh und um die Entfremdung vom Leben an Land. Geht Schär an Bord, bringt er Bücherkisten mit, aktuelle Zeitungen und jetzt zur Weeihnachtszeit auch Geschenkpäckchen für den Heiligabend auf See. Mit den Besatzungen feiert er ökumenische Andachten.

Von katholischen Philipinos wird er liebevoll „Father Walter“gerufen. Nur selten, so Schär, sehe jemand in ihm einen „frommen Spinner“, der an Bord moralisieren wolle. Fast immer sei er willkommen. Unter den Besatzungsmitgliedern der Schiffe, auf denen er bisher anheuerte, genießt der erfahrene Seelsorger großes Vertrauen. Das hat nicht nur mit seiner Schweigepflicht zu tun, vermutet Schär: „Es spielt wohl auch eine Rolle, daß ich nicht auf Dauer bleibe, sondern bald wieder verschwinde.“ Dieter Sell, epd