■ Vorschlag
: Kafkas „Forschungen eines Hundes“ unter der Stadtautobahn

Ein Hund (groß: Bernd Ludwig) blickt zurück: Woher kommt die Nahrung, wozu gibt es Lufthunde, wozu Wissenschaft, warum verbergen Hunde ihr Wissen? Am Ende beginnt es von vorne, eine sphinxische Frauengestalt heißt ihn, das Leiden von neuem durchzukosten, das Hungern als Figur für eine Art transzendenzträchtigen Triebverzicht erneut zu wiederholen. Die Frau ist bei Kafka abwesend, in der Inszenierung der neuen Theatergruppe „e1ns“ vom langjährigen Schaubühnen-Assistenten Christian Barthelmes aber lauert sie in einer rätselhaften Präsenz (Eva-Maria Straka). Eindeutig kryptisch gebärdet sich der Abend überhaupt. Aber: gut gestylt, stimmig eingerichtet, manchmal etwas forciert feinziseliert.

Von vorne. Über das Treppenhaus 129 des verlassenen, nie in Betrieb genommenen Busbahnhofs in Steglitz gelangt man durch enge Gänge in einen warmen Raum. Drei, vier Meter höher preschen Autos über das Ende der Stadtautobahn, immerzu hörbar. Drinnen ist alles mit Filz ausgelegt. Na? Genau! Beuys als Königsreferenz. Am Kopf eines Tisches wartet der Hundeforscher, dessen Arme und Unterkörper in das Holz eingelassen sind. An den Wänden numerierte Fleischerhaken (Bühne: Harry Behlau). Sieht nach Terror aus, nach Fleisch, das an Gewalt erinnert. Später genießen wir es selbst, werden zu Komplizen eines Totemmahls, wenn es ein Gulasch und Rotwein dazu gibt. Oder haben wir gar den Urhund getötet, verzehrt und gleichzeitig gepriesen, sind wir Teil der Tafel geworden wie der Forscherhund selbst? Denn dessen Problem ist ja gerade, daß er ein Hund ist und ergo nicht über das Hundsein hinauskommt; er muß im Grunde schweigen, auch wenn er redet. Dies tut Bernd Ludwig viel und gut. Entrückt, fast psychotisch bricht die Rede aus ihm heraus, stets still sitzend und beinahe körperlos. Die Frau bleibt dabei aber das oft stumme Zentrum, schleicht etwas maniriert umher: als Mutter, als Geliebte, als Tochter vielleicht. Zwischendurch das Gefühl, in einem fleischgewordenen, literarischen Kreuzworträtsel gelandet zu sein. Das Lösungswort ein Ausrufezeichen. Tobi Müller

Albrechtstraße 129 (Steglitz), Eingang an der Autobahnunterführung, täglich um 20.30 Uhr, außer 22., 23. und 25. Dezember