Hinfahren und das Ding laufen

Beim olympischem Vorgeplänkel im Eiskunstlaufen, dem Finale der Champions Series, läßt Weltmeisterin Tara Lipinski auch Tanja Szewczenko keine Chance  ■ Aus München Nina Klöckner

Erst kam Pascha und erklärte allen, warum sie jetzt Pascha heißt und nicht mehr Oksana Gritschuk. Und sie hätte es auch erzählt, wenn niemand danach gefragt hätte. Was wichtig ist, bestimmt sie. Und jetzt hat sie eben keine Lust mehr, immer mit der ukrainischen Einzelläuferin Oksana Bajul verwechselt zu werden, die zwar einen anderen Nachnamen hat, aber den gleichen Vornamen. Verwechslungen sind unerträglich, wenn man ein Star sein will. Also hat die russische Olympiasiegerin im Eistanz Namen und Haarfarbe gewechselt, und weil sie schon mal da war, den Journalisten nahegelegt, sich endlich ihr richtiges Alter zu merken: „Immer werde ich ein Jahr älter gemacht, ich bin erst 25.“ Alles klar.

Etwas später kam Tanja Szewczenko, aber nicht alleine, sondern mit ihrem Arzt Ulrich Kübler, „weil Sie immer so viele medizinische Fragen an mich haben“. In der folgenden Fragestunde konnte man alles über das Innenleben einzelner Zellen der deutschen Meisterin der Eiskunstläuferinnen erfahren. Auch daß sie diese Woche die Mandeln herausgenommen bekommt und Weihnachten deswegen „mit Eiscreme verbringen wird“. Ansonsten gehe es ihr wieder gut. Das läßt die Nation aufatmen.

Irgendwann kam dann auch Tara Lipinski. Und wenn sie nicht so doll geschminkt gewesen wäre, hätte sie nach dem Gewinn des Champions-Finales vielleicht gar keine Frage beantworten müssen. Weil sie niemand bemerkt hätte. Die Amerikanerin ist in diesem Jahr zwar ganze fünf Zentimeter gewachsen und mißt jetzt immerhin 1,53 Meter. Aber inmitten der wortgewandten Eisköniginnen wirkt sie immer noch wie ein kleines Mädchen. Lautes Tönen gehört nicht zu ihren Eigenschaften. „Ich denke nicht an die Noten, wenn ich laufe“, sagte sie und läßt einem keine Chance, ihr nicht zu glauben. Tara Lipinski ist Weltmeisterin, die jüngste aller Zeiten, und am vergangenen Wochenende ließ sie der Konkurrenz beim Finale der Champions Series in München keine Chance, weil sie zum Beispiel eine Sprungkombination aus zwei dreifachen Rittbergern in ihrem Programm hat. Das kann außer ihr niemand, nicht einmal bei den Männern.

Tara Lipinski ist aber erst 15 Jahre alt, daran ändert ihr Erfolg nichts. Und außerhalb der Eisfläche benimmt sie sich auch so. Wer keine konkreten Fragen hat, wird von ihr nichts erfahren. Aber in einer Szene, in der die meisten ungefragt ihr Innerstes nach außen tragen, ist ihre Erscheinung recht angenehm. Ihr geht es um den Sport. „Ich fühle mich gut, wenn ich mein Bestes gegeben habe“, sagte sie in München. Und: „Ich komme langsam dahin, wo ich hin will.“

Damit spekuliert auch die Konkurrenz. Ihre Überlegenheit müssen sie erst mal hinnehmen. „Lipinski ist im Moment unnahbar und, wenn sie fehlerfrei läuft, auch unschlagbar“, sagte Tanja Szewczenko, die hinter der Amerikanerin immerhin den zweiten Platz belegte. „Aber sie wird auch erst 16 und hat bis jetzt noch keine Probleme mit der Pubertät.“ Was dann passiert, hat sie selbst schon erlebt, zum Glück inzwischen aber hinter sich gebracht, weil sie bereits 20 Jahre alt ist. Wenn sich der Körper verändert, beginnt die härteste Zeit für die Frauen der Eisszene. Ein paar Zentimeter in die Höhe und ein paar in die Breite können alles durcheinanderwirbeln. Jahrelang einstudierte Bewegungen werden plötzlich zum Problem, weil sich die Hebel verschoben haben. Das zehrt an den Nerven.

Tara Lipinski scheint sich damit noch nicht auseinandersetzen zu müssen. Bis zu den Olympischen Spielen im Februar in Nagano wird nicht mehr viel passieren. Deswegen sieht sie dem Saisonhöhepunkt mit jugendlicher Gelassenheit entgegen. Auch Tanja Szewczenko will sich darüber keine Gedanken machen. „Ich lasse mich nicht zur Medaillenkandidatin machen“, sagte sie. „Ich fahr' da hin und laufe das Ding.“ Mehr nicht.

Noch etwas hatte sie mit Tara Lipinski an diesem Wochenende gemeinsam. Die beiden waren die einzigen, die zur Auslosung der Startreihenfolge kamen. Alle anderen waren scheinbar verhindert. Tanja Szewczenko zog die Nummer für sich, Tara Lipinski für alle anderen. So ist das, wenn man die Jüngste ist.