„Die da oben labern nur Kacke“

Die Stühle sind so abgenutzt wie die Lehrer alt sind. Nach den Studierenden machen sich mehr und mehr Schüler Gedanken über den Bildungsabbau. Frankfurter Gymnasien veranstalten Streik- und Aktionstag  ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen

Die Wände schmuddelgrau, der rote Samtvorhang zerschlissen, die Holztäfelung zerkratzt. Die Aula der Schillerschule ist ein trister Ort. Der vorweihnachtliche Wunschzettel der GymnasiastInnen in Frankfurt-Sachsenhausen läßt schlimmere Mißstände ahnen: „Toiletten renovieren“.

Brigitta Krumm, Rektorin der einst ehrwürdigen Lehranstalt für Kinder gutbetuchter Eltern, hat ihren Stuhl dezent an die Wand gerückt. Sie befürwortet den Streik- und Aktionstag: „Es ist wichtig, daß sich die Schüler selber Gedanken machen, welche Probleme und Fehlstellen sie sehen.“ Die sehen die Kids auf dem mager besetzten Podium. Zwei Parteivertreter verlieren sich da, ein Gewerkschafter, ein Stadtschülerrat. Die SchülerInnen der Oberstufe nehmen die grüne Stadtverordnete Lene Riedel in die Mangel. „Ein Schmalspurabitur wollen wir nicht!“, muß sich die gerade der Parteijugend entwachsene Grüne für ihre Idee anhören, das 13. Schuljahr zu streichen. Auch die Einstellung junger LehrerInnen auf Teilzeitbasis, wie in Hessen und Berlin praktiziert, beschwichtigt die Schulstreiker nicht. Die alten Pauker sollten weniger arbeiten, empören sie sich. „Gucken Sie sich hier um“, sagt Philipp, „die Stühle müssen 22 Jahre halten, die Lehrer 50.“

Philipp beklatscht, seinen Mitschülern trotzend, die CDU-Politikerin Hella Welker – bis sie ihn belehrt, wie schwer es „draußen“ vor der Schule sei. Mancher Arbeitnehmer traue sich nicht einmal mehr zum Zahnarzt. „Wollen Sie ausgerechnet uns sagen, daß es Probleme gibt?“ muß sich die CDUlerin genervt fragen lassen. Und Philipp weiß wieder, warum er nicht in die Junge Union eingetreten ist. Manchmal überkommt ihn einfach der Gedanke, „die da oben labern alle nur Kacke“. Da sind sich die SchülerInnen im Saal einig: Das Podium sei ein Verschiebebahnhof der Schuldzuweisungen, auf Wahlkampf aus, nicht auf Konsens. Eine findet es „absolut ekelhaft, wie die Politiker sich jetzt auf den Streik stürzen, uns ausnutzen, um sich zu profilieren“.

„Ihr habt das vergeigt“, schimpfen die Schüler

Hadija ist sauer: „Sagen Sie uns doch, ob Sie uns vergessen hätten, wenn wir nicht gestreikt hätten? Wir sind Ihnen unwichtig!“ Der GEWler fordert sie beinahe verzweifelt auf, „die Machtfrage“ zu stellen. „Wir? Was sollen wir denn machen! Ihr habt das doch vergeigt“, schlägt es dem Gewerkschafter aufgeregt entgegen.

Schulsprecher Dominik Fechter sitzt im kleinen Raum der Schülervertretung (SV). An das Amt ist der 17jährige eher zufällig gekommen. Anfangs machte das Spaß, aber „die Ignoranz der Schüler schmerzt“. Nein, eine Bonzenschule ist die Penne hier nicht mehr. Eine Elitezuchtanstalt lehnt Dominik ab. Aber „ein bißchen“, findet er, hat Philipp recht: „Viele gehören einfach nicht hierher. Die denken, das Abi wird ihnen in den Schoß gelegt.“ Sie mogeln sich durch. Vorbei an Lehrern, „die keine Lust mehr haben“.

Gleich um die Ecke sitzen Johanna, Karla und Katrina im Streikcafé der Carl-Schurz-Schule. Sie fühlen sich als Team. Elite ist hier nicht das Thema, eine deutliche Mehrheit ist für mehr Bildung, mehr AbiturientInnen. Die Schurz-Schüler haben ihren Aktionstag professioneller organisiert als ihre Nachbarn. Das Podium ist voll, die Fragen sind vorher gemeinsam durchdacht worden und deshalb einfach: „Nur nicht von Totschlagsargumenten dumm machen lassen!“ Katrina: „Wir haben uns viel zu sehr daran gewöhnt, daß alles so komplex ist.“ Das hat den CDU-Politiker „kindgerecht“ retardieren lassen. Das mit den Eurofightern, „hat er wirklich gesagt“, erzählen die Mädchen, „ist so, wie wenn ihr auch mal Ersatzteile fürs Fahrrad braucht“. Johanna Kessel führt durch die Klassen, in denen der Lehrkörper den Aktionstag mitgestaltet. Und dabei recht einsam ist. Das sei, sagt Johanna, „ganz süß“, aber niemand will heute etwas wissen von dem Lehrerthema „Streik – Realität und Mythos“. Die Rektorin wollte eigentlich Einblick in Haushalt und Budget der Schule geben.

Das Geld für Lehr- und Putzmittel ist seit 1995 von 40 auf 20 Millionen zusammengestrichen worden. Budgetiert wird in Frankfurt seit 1995. Alle Schulen, weiß man im Schulamt, sind seither sparsamer geworden. Nur eine hat um 400 Mark überzogen. Jeder der 160 Schulen stehen für Lehr- und Putzmittel, Kopien 70.000 bis 80.000 Mark zur Verfügung. Das sind pro Schüler 80 Mark.

Die SchülerInnen sind währenddessen außer Haus unterwegs, um den mageren Etat aufzubessern. Sie treffen sich auf der Zeil zum „Bettelzug“. Spenden „für die Bildung“ werden mit einer Erdnuß belohnt. Hier treffen wir auch Dominik, Hadija und Philipp wieder. Philipp ist „gut drauf“ und nimmt mit dem Megaphon die konservative Klientel aufs Korn: „Es ist das Fest der Liebe! Gebt uns Geld!“ spottet er. Hadija traut auch denen nicht, die ihnen gleich 20 Mark in die Hand gedrückt haben: „Die kapieren nichts. Ich könnte auf eine Nuß beißen!“ Ein Junge, der wirklich bettelt, fragt die unerwarteter Konkurrenz mißtrauisch: „Macht ihr das jetzt auch?“ „Dafür bist du“, schlüpft Hadija selbst in die Rolle des Erwachsenen, „eigentlich noch viel zu klein.“