Analyse
: IWF kalt erwischt

■ Der Währungsfonds ist mit der Finanzkrise in Fernost überfordert

Die Finanzkrise, die Fernost derzeit beutelt, läßt die Wachstumsaussichten für die ganze Welt etwas düsterer erscheinen, konstatiert der Internationale Währungsfonds (IWF) trocken. Im kommenden Jahr soll das weltweite Sozialprodukt um 3,5 Prozent wachsen, das sind 0,8 Prozent weniger, als der Fonds noch im Oktober annahm. Diese Korrektur um fast ein Fünftel innerhalb von zwei Monaten macht deutlich, daß die Wirtschaftsexperten des IWF von der Krise vollkommen kalt erwischt wurden.

Dies ist um so erstaunlicher, als sich der Fonds die Überwachung des weltweiten Finanzsystems doch zu seiner edelsten Aufgabe gekürt hat. Erst im Spätsommer hatte man aber im IWF-Länderbericht über Süd-Korea lesen können: „Die Direktoren begrüßen Koreas dauerhafte und beeindruckenden makroökonomischen Leistungen.“

Zudem stellt die südostasiatische Krise die andere Rolle in Frage, die sich der IWF in den letzten Jahren verstärkt zugelegt hat: als globale Finanzfeuerwehr. Noch 1995 hatte sich der IWF als strahlender Retter profilieren können, als er Mexiko mit 18 Milliarden Mark aushalf. Auch Rußland und damit die Regierung Jelzin wurden vom IWF finanziell gerettet.

Doch seit es in Südostasien kracht, steht der IWF mit dem Rücken zur Wand. Sicher, er hat im Nu 21 Milliarden Dollar für Süd-Korea zusammengekratzt. Noch schneller hat er dem Land seine üblichen Roßkur verschrieben: Öffnung der Märkte für ausländische Investoren, brutale Geldverknappung im Inland. Aber die Kritik nimmt zu, und die Situation auf den Finanzmärkten beruhigt sich kein bißchen.

Das liegt zum einen an der Größe des Problems, die der IWF offenbar unterschätzt hatte. So soll die Verschuldung Süd-Koreas über 100 Milliarden Dollar liegen. Aber auch die Strategie des IWF wird selbst von konservativer Seite hinterfragt. Schließlich ist es in Süd-Korea nicht der Staat, der durch verschwenderische Ausgabenpolitik die Schulden gemacht hat, sondern der aufgeblasene Finanzsektor und die Industriekonglomerate. Wenn der Staat in dieser Situation spart und zugleich die Zinsen steigen, kann das vielen Unternehmen den Garaus machen. Dazu kommt die bange Frage vieler Experten, wie um alles in der Welt eine rezessionsfördernde Geldpolitik die Ruhe auf den Finanzmärtken wiederherstellen soll.

Kein Wunder, daß sich sogar das wahrlich nicht linke britische Wirtschaftsmagazin Economist mit der Frage beschäftigt, ob der IWF doch nur als Agent der US-Wirtschaft handelt. Hatten doch die USA schon seit Jahren auf eine stärkere Öffnung der lukrativen asiatischen Finanzmärkte für die eigenen Firmen gedrungen. Gar nicht zufällig weilte während der Verhandlungen der IWF-Emissäre mit der südkoreanischen Regierung auch ein hoher Beamter aus dem US- Finanzministerium in Seoul. Ausländische Konzerne werden vermutlich bald in Geldnöten schwebende südkoreanische Firmen für ein paar Äppel und Eier aufkaufen können.

Der Harvard-Ökonom Jeffrey Sachs glaubt eine Erklärung für die offensichtliche Inkompetenz des IWF gefunden zu haben: Statistisch gesehen sind für jeden der 75 Staaten, die sich einem IWF-Programm unterwerfen müssen, nicht einmal sieben Wirtschaftsfachleute des Währungsfonds zuständig. Ist es, fragt Sachs angesichts jüngster Erfahrungen, da weiterhin hinnehmbar, daß die IWF-Programme keinerlei öffentlicher Analyse unterliegen, ja noch schlimmer, daß sie nach wie vor in Teilen geheimgehalten werden? Nicola Liebert