Tod in Polizeihaft, Lyon in Aufruhr

■ Schwere Straßenschlachten nach Todesschuß auf festgenommenen Jugendlichen. Auch in Pariser Vorstadt Auseinandersetzungen nach weiterem Polizeieinsatz

Paris (taz) – „Halt die Fresse, oder ich bring' dich um“, soll der 40jährige Polizist auf der Wache des 9. Arrondissement von Lyon gebrüllt haben, bevor er den einzigen und tödlichen Schuß auf Fabrice Fernandez abgab. Das 24jährige Opfer hatte ihm mit auf den Rücken gebundenen Händen gegenübergesessen und laut gegen seine eigene Festnahme und die seiner beiden ebenfalls im Raum befindlichen Halbbrüder protestiert.

Heute werden die Freunde des vor drei Tagen erschossenen Vaters dreier Kinder einen Schweigemarsch durch die Straßen von Lyon abhalten. Der Stadtteil La Duchère, aus dem Fabrice Fernandez stammte, steht nach nächtelangen Straßenschlachten zwischen der Polizei und gut organisierten, mit Funktelefonen und Molotowcocktails ausgerüsteten Jugendlichen-Kommandos im polizeilichen Belagerungszustand. Etwa 30 Autos gingen bei den Protesten am Wochenende in Flammen auf. Der Todesschütze, über den bislang nur bekannt wurde, daß er bereits mehrfach wegen „aggressiven Verhaltens gegenüber Festgenommenen“ vom Dienst suspendiert war, sitzt im Gefängnis. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen „vorsätzlicher Tötung“, das ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu 30 Jahren einbringen könnte.

Von nächtelangen gewalttätigen Auseinandersetzungen ist auch Dammarie- les-Lys gezeichnet. Aus der Vorstadt im Süden von Paris stammte der 16jährige Abdelkader Bouziane, der in der Nacht zu Donnerstag mit dem Auto seiner Mutter eine Polizeibarrikade durchbrach und dabei von Polizisten durch die Windschutzscheibe erschossen wurde. Die Polizei sagte über den 16jährigen, er habe ein langes Strafregister, seine Freunde aus der Vorstadt berichten über seine Verzweiflung angesichts beruflicher Perspektivlosigkeit und ständiger Behelligung durch die Polizei.

Außerhalb der direkt betroffenen Vorstädte lösten die beiden gewaltsamen Todesfälle keine heftigen Reaktionen aus. Der Innenminister schickte der Familie des Lyoner Opfers ein Beileidstelegramm. Verschiedene französische Kommentatoren wiesen darauf hin, daß die beiden Fälle „nicht vergleichbar“ seien.

Sprecher der Polizeigewerkschaften verlangten eine bessere Ausbildung, unter anderem auch bei den Schießkursen. „Wenn bei Festgenommenen eine Waffe beschlagnahmt wird, muß die als erstes neutralisiert werden“, erklärte Elie Puigmal, Chef der Gewerkschaft SNPT. Der Lyoner Polizist soll seinen Schuß aus einer Waffe abgegeben haben, die einer der festgenommenen Brüder dabeigehabt haben soll. Zugleich wies der SNPT-Sprecher darauf hin, daß in den französischen Vorstädten „eine Politik der sozialen Ausgrenzung“ stattfinde, für die die Polizei nicht verantwortlich sei. „Dafür muß die Regierung Abhilfe suchen“, sagte er.

Dorothea Hahn Interview Seite 10