„Hauptsache, das Kind hat was zu essen“

Daß Weihnachten bei Michaela Kapzcak flachfällt, ist für die alleinerziehende Mutter noch das geringste Problem. Den Job hat sie mit der Schwangerschaft verloren. Die Stütze reicht nicht zum leben  ■ Von Lisa Schönemann

Noch eine halbe Stunde Zeit. Michaela Kapzcak tritt von einem Fuß auf den anderen und setzt eine betont gleichgültige Miene auf. Die Alleinerziehende weiß nicht recht , wie sie die Zeit totschlagen soll. Ihr halb ausgetrunkener Kaffeebecher und die Zigarettenschachtel finden neben dem kitschigen Adventsgesteck kaum Platz auf dem Stehtisch vor der Bäckereifiliale von „Nur hier“. Berufstätige raffen mittags in der schicken Einkaufspassage die letzten Weihnachtsgaben zusammen. Nachdem die 24jährige die Vorbeihastenden eine Weile beobachtet hat, dämmert ihr, daß sie die einzige junge Frau ist, die nicht auf modischen Plateausohlen daherkommt.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung weist die alleinerziehende Mutter das ganze Spektakel von sich. Daß „Weihnachten sowieso flachfällt“, ist für Michaela Kapzcak noch das geringste Problem. „Ich hab' definitiv rein gar nichts zum Ausgeben“, sagt die 24jährige Sozialhilfeempfängerin wütend und stellt sich mit dem Rücken zu den Auslagen der benachbarten Boutique. Die junge Frau mit dem rausgewachsenen Kurzhaarschnitt wartet gerade auf ihren Termin bei der Mieterberatung. „Bei mir heißt der Leit-satz nur noch: ,Hauptsache das Kind hat was zu essen.'“

Der elfmonatige Kevin schläft in der Karre. Er sei „ein TroPi-Kind“erklärt Michaela und muß plötzlich lachen. „TroPi“steht für „trotz Pille“, und der Kindsvater ist längst über alle Berge. Die Verantwortung für den Sohn sei ihm zuviel geworden, so ihre Vermutung. Immerhin hat das Jugendamt dem Mann wegen der Unterhaltszahlungen auf die Füße getreten. Seitdem überweist er jeden Monat 280 Mark für den Jungen, mit dem er ansonsten nichts zu tun haben will.

Ohne den Ärger mit der Wohnung wäre alles halb so schlimm. Um Geld zu sparen, ist die alleinerziehende Mutter vor vier Wochen mit einer Freundin zusammengezogen. Doch die Freundin hat es sich inzwischen anders überlegt und die Wohnung gekündigt. „Sie hat mich total hängen lassen, um zu ihrem Freund zu ziehen.“Allein aber kann Michaela Kapzcak die Miete nicht aufbringen, der Umzug habe ohnehin schon „die letzten Kröten aufgefressen“.

Michaelas Bruder und die anderen Verwandten haben zusammengelegt, so daß sie ihrem Sohn einen buntes Plastikspiel zu Weihnachten schenken kann. Ihre Familie möchte die Illusion aufrechterhalten, alles sei wie immer – auch ohne Kevins Vater. Die Eidelstedterin selbst könnte „nicht mal 'nen mickrigen Baum bezahlen“. Seit Kevin auf der Welt ist, hat sie kein eigenes Einkommen mehr und muß inklusive Erziehungsgeld mit rund 1500 Mark staatlicher Unterstützung im Montat über die Runden kommen. Die Spedition, in der sie acht Jahre lang den Laden geschmissen hat, hat ihren letzten Zeitvertrag aufgrund der Schwangerschaft nicht verlängert.

Bis zum vorigen Jahr hatte die junge Frau noch keine Ahnung, was es bedeutet, arm zu sein. Geld für ihren eigenen Bedarf an Squashstunden, an Klamotten oder CDs verdiente die begeisterte Schwimmerin genug. Jetzt stöbert sie in Secondhandläden nach Kinderkleidung und macht einen Bogen um die „teuren“Lebensmittelgeschäfte wie Pro oder Minimal. „Die Reichen werden immer reicher, und die Kleinbürger läßt man links liegen“, so ihr Abgesang auf die Gesellschaft, „uns bleibt nur Aldi“.

Selbst wenn das Kind älter ist, hat Michaela Kapzcak keine Chance, in ihren alten Beruf zurückzukehren. „Überall werden Leute entlassen, auf eine Ungelernte wie mich warten die gerade noch.“Das Arbeitsamt hat ihr eine Umschulung zur Reiseverkehrskauffrau in Aussicht gestellt. Zumindest hat ihr Sachbearbeiter nicht gleich abgewinkt, als sie ihren Antrag abgegeben hat, sondern sich zu einem lapidaren „Sie hören von uns“hinreißen lassen.

Für den Fall, daß es klappt, muß die alleinerziehende Mutter für Kevin allerdings einen der wenigen Krippenplätze ergattern, die im nächsten Sommer im Stadtteil Eidelstedt vergeben werden. Ohne Job gibt es auf lange Sicht keinen Ausweg aus der Misere. „Das müssen die doch einsehen“, hofft Michaela Kapzcak.