„Ich fühle mich nicht schuldig“

■ Die Bosnierin Elvira soll zwei Jahre Ausbildung in die Tonne treten /Geht es nach deutschen Gerichten, hätte sie die Lehre nie anfangen dürfen / Jetzt droht die Abschiebung

lvira Cerimagic steckt in einer gemeinen Klemme. Dreimal schon hat die 20jährige Bosnierin einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Jedes Mal umsonst. Zweimal haute der Krieg dazwischen. Dann das Achimer Arbeitsamt.

Jetzt machte das Stader Sozialgericht Elviras Zukunftspläne endgültig zunichte. Dort wollte die junge Muslimin, die mit ihren Eltern und Schwestern vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflüchtet war, die Arbeitserlaubnis erstreiten, die das Arbeitsamt ihr zuvor verweigert hatte. Vergeblich.

Die Stader Richter entschieden, daß Elvira für ihre bereits begonnene Ausbildung zur Orthopädiemechanikerin keine Arbeitserlaubnis bekommt. Die Begründung: deutsche und EU-Jugendliche kommen zuerst an die Reihe. Der Lehrherr hätte wissen müssen: Flüchtlingsju-gendliche kriegen nur was übrig bleibt. Daß der Achimer Orthopädie-Unternehmer Ralf Jungblut den – auch unter deutschen Jugendlichen begehrten – Ausbildungs-platz für die Bosnierin eigens schaffte, änderte daran nichts. „Menschlich lobenswert, aber juristisch nicht haltbar“, werteten die Richter.

Auch eine Ausnahmerege-lung für die junge Frau, die, als das Stader Urteil vor wenigen Wochen fiel, bereits das zweite Ausbildungsjahr im Prothesenbau beendete, lehnte das Gericht ab. Elvira ist verzweifelt und aufgebracht zugleich. „Ich kann doch nicht noch einmal ganz von vorne anfangen“, sagt sie. Dann wird sie wütend. „Ich fühle mich nicht schuldig. Ich habe doch nur getan, was alle Leute in meinem Alter machen. Ich habe mir eine Lehrstelle gesucht.“Dabei war immer klar: „Nach der Gesellinnenprüfung gehe ich nach Bosnien.“

Was Elvira dort wirklich erwartet, weiß sie erst, seit sie vor kurzem mit ihrem Freund dort war. Zum ersten Mal nach der Flucht – um zu sehen, wohin die Rückkehr möglich wäre.

Die junge Frau und ihre Familie stammen aus einer Gegend, die heute serbisch besetzt ist. Dorthin wollen sie nie wieder. „Da ist mein Bruder gestorben.“Er wurde gehängt – der Vater entkam einer Hinrichtung nur knapp. Elvira macht sich keine Illusion darüber, was ihr selbst, der Mutter und der Schwester geschehen wäre, wären sie nicht geflohen. Trotzdem will sie in Bosnien bald ihren „ersten richtigen Anfang machen.“Eine Familie haben, einen Beruf und Kinder.

Elvira Cerimagic hat schon lange Heimweh. „Vielleicht, weil ich die Angst dort nicht erleben mußte.“Seit sie bei ihrem Besuch „so viele psychisch zerstörte Menschen“sah, will sie um so mehr ihre Ausbildung in Deutschland zu Ende bringen. „Es ist nicht wie hier, wo viele Patienten schon alt sind. Bei uns in Bosnien leben viele Junge ohne Hände, Füße, Arme oder Beine. Denen will ich helfen. Ich könnte ihnen Mut machen, daß sie weiterleben“, sagt Elvira. „Während die Männer gekämpft haben, war ich hier in Deutschland sicher und konnte lernen. Jetzt will ich denen, die dageblieben sind, etwas zurückgeben.“

Für ihre Lehrstelle hat Elvira mehr getan als viele andere Jugendliche. Bei ihrer Ankunft in Deutschland vor fünf Jahren sprach sie kein Wort Deutsch. Trotzdem schaffte sie die Hauptschule im ersten Anlauf – und gleich darauf den Realschulabschluß. In sechs Monaten, nächsten Sommer, sollte sie die Chance bekommen, eine externe, vorzeitige Gesellinnenprüfung als Orthopädiemechanikerin abzulegen – „weil sie gut ist“, wie ihr Lehrherr zufrieden sagt. Doch jetzt liegt alles in Trümmern.

Lehrherr Ralf Jungblut ist stinkwütend: „Man kann doch nicht 350.000 Bosnier ins Land holen und ihnen verbieten, ein halbwegs normales Leben zu führen.“Als Elvira vor zwei Jahren nach einem erfolgreichem Betriebspraktikum um eine Lehrstelle nachfragte, zögerte er nicht mit seiner Zusage – „obwohl wir noch eine Auszubildende im zweiten Lehrjahr hatten und eigentlich nicht ausbilden wollten.“Zu der Zeit sei viel von humanitärer Hilfe geredet worden. Er wollte handeln. „Mein Gott, wenn eine junge Frau ihren Leuten helfen will – wie kann ich da nein sagen, wenn sie das Händchen dafür hat. Prothesen werden doch jetzt in Bosnien gebraucht.“

Für sein Engagement mußte Jungblut zahlen. Seit zwei Jahren kämpft der Jungunternehmer vor Gericht nicht nur dafür, daß Elvira lernen darf – sondern auch um die eigene Rehabilitation. „Mir wurde doch unterstellt, daß ich meine Auszubildende vorsätzlich illegal beschäftigt habe.“Erst jetzt feiert der Unternehmer einen Triumph: Das Oberlandesgericht in Celle hat das vom Arbeitsamt verhängte Bußgeld kürzlich von 6.300 Mark auf 600 reduziert – und ihn außerdem vom bösen Vorsatz freigesprochen. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit bleibt.

Elvira Cerimagic hilft das nicht. Sie soll jetzt ausbaden, was der Chef versäumt hat. Davor ist sie bange. Kurz vor Weihnachten läuft die Duldung aus. Wird sie nicht verlängert, droht die Abschiebung. „Ich lebe wie in einem schlechten Traum“, sagt die junge Frau. „Ich kann das alles gar nicht glauben.“Die Ämter scheinen nur gegen sie zu sein. Ihr wurde vorgehalten, daß ihre Eltern für sie – damals noch minderjährig – einen Asylantrag stellten. Dabei hatte das Ausländeramt ihnen dazu geraten.

Jetzt hofft Elvira auf Gnade. Sie schickte eine Petition an den niedersächsischen Landtag – und eine an den Bundestag. Sie kennt Fälle, in denen Flüchtlingsjugendliche eine Ausbildung machen durften – mehr will sie nicht. Doch die PolitikerInnen werden schnell handeln müssen. Elvira Cerimagic läuft gerade die Zukunft weg.

Eva Rhode