Akademische Sandkastenspiele

■ betr.: „Sprengt die Macht der Pro fessoren!“ von Michal Bodemann, taz vom 2.12. 97; „Sprengt die Macht der Strukturen“ von Erhard Stölting, taz vom 15.12. 97

Sechs Prozent Professorinnen... trotz 20 Jahren Frauenbewegung, feministischer Wissenschaft, aktiver Frauenbeauftragter, sprachlicher Veränderungen („Studierende“). Das Ergebnis kann gar nicht anders sein, weil eine Gleichstellung der Geschlechter einzig in einer demokratischen Bildungs- und Gesellschaftsstruktur realisierbar ist. Die Herstellung einer solchen kann auf Vorbilder in anderen Ländern nicht zurückgreifen, denn diese Vorbilder gibt es (leider) (noch) nicht. Die Herren Professoren Bodemann und Stölting spielen beide regressiv im gleichen akademischen Sandkasten, aus dem wollen sie nicht raus, sondern ihn lediglich amerikanisieren, das heißt verwaltungsreformieren.

Wir (darunter stelle ich mir alle sich selbst ernennenden Intellektuellen vor) müssen schon selbst kreativ werden, sämtliche vermeintlichen und tatsächlichen autoritativen Systeme über Bord werfen und was Neues in der Tradition und gegen die Tradition der Errungenschaften der sozialen Demokratiebewegung schaffen. Ein Bereich, der der Erneuerung zum Opfer fallen muß, ist die ständische Organisation der Hochschulen.

Selbstverständlich sind die HochschullehrerInnen mit ihrer strukturellen Gremienmacht, dem Verfügen und Entscheiden über die Verteilung von Geldern, Räumen und Inhalten, Privilegierte und DienerInnen staatlich-herrschaftlicher Wissenschaftssysteme. Wissenschaft wird von ihnen weitestgehend als narzißtischer Selbstzweck betrieben, in den Geisteswissenschaften zu Hause im Wohnzimmer, wenige Tage in der Woche überhaupt im Unibetrieb verfügbar, mit mäßigem Aufwand für die Betreuung der Studierenden und viel Engagement im Zusatzverdienen in Naturwissenschaft und Medizin. Wo sind die HochschullehrerInnen, die in den letzten Jahren die Forschung sichtbar gleichberechtigt, das heißt sich in Publikationen und Veranstaltungsstrukturen niederschlagend, mit den Studierenden betrieben haben? Sie sind die Ausnahme von der Regel der egoistischen Interessenverfolger. Gut finanzierte Kongresse mit Endlosredebeiträgen, wo keiner den anderen kritisiert, keiner es wagt, Langeweile und Genervtsein Ausdruck zu verleihen, wo Honoratioren ernannt werden, Autoritäten produziert werden, bereiten den Boden für das, was als Kanon von den Studierenden akzeptiert, referiert und gelesen werden soll. Streitkultur ist ein Fremdwort im hohen akademischen Betrieb, hier hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus. Kein Professor und keine Professorin unterliegen (glücklicherweise, aber ohne Konsequenz für die Betreuung der Studierenden) irgendeinem Publikationszwang, es sei denn, sie wollen noch aufsteigen, vom C2 zum C4 oder der Assistent/die Assistentin zum Professor/zur Professorin. Dafür empfiehlt sich Zurückhaltung in der Kritik, vor allen Dingen in politischen Fragen, und zugleich ein entsprechendes autoritatives Namedropping in den Publikationen. Der oft so sehr bedauerte Mittelbau an den Universitäten ist die Stütze dieses Systems, Mittelbauler gerieren sich nicht selten als die Miniprofs, gar mancher Tutor und manche Tutorin tut das und setzt dieselbe methodenarme Lehre fort. Schließlich können sich alle in der Illusion des potentiellen Aufsteigers wähnen, vorausgesetzt, sie beteiligen sich an der Reproduktion einer „Schule“ und der herrschenden Strukturen.

Aber auch die Studierenden sind keine Lämmer, ein beträchtlicher Teil von ihnen kommt aus wohlsituierten Familien, die ihre Sprößlinge mit Auto, Eigentumswohnung und ordentlichem Monatsbudget ausstatten. Viele dieser jungen Leute wollen ihre Privilegien nicht verlieren und in die Zukunft verlängert sehen. Aber auch das studentische Sozialverhalten ist nicht allzu rücksichtsvoll, in Veranstaltungen geht es nicht selten zu wie im Taubenschlag, allzuviel Initiative hinsichtlich neuer Lehr- und Lernformen geht von den Studierenden nicht aus, schließlich sind sie ja Frontalunterricht aus der Schule gewöhnt. Und nicht zu vergessen so manche StreikaktivistInnen, die sich wohl als künftige PolitikerInnen und sogenannte VolksvertreterInnen imaginieren und anderen vorschreiben wollen, wann und wie sie zu streiken haben. [...]

Was folgt aus all dem für einen Umbau? Voraussetzung für selbigen ist schon eine generelle Umverteilung der finanziellen Ressourcen, die Handhabung der Steuern und Abgaben durch die Hände der Bürger und Bürgerinnen. Eine Veränderung der Hochschulen kann nicht deren interne Angelegenheit sein, sondern muß einhergehen mit gesellschaftlichen Umverteilungs- und Neuorganisationsprozessen in sämtlichen industriellen und nichtindustriellen Bereichen. Nur so kann auch festgestellt und demokratisch festgelegt werden, wieviel Geld wozu sinnvollerweise wer zur Verfügung stellen möchte oder ob überhaupt Geld notwendig ist und nicht Solidarstrukturen zumindest partiell an dessen Stelle auch treten können. Im Grunde müßten sich andere gesellschaftliche Gruppierungen mit den Studierenden solidarisieren, zugleich aber auch ein Auge darauf haben, daß nicht auf anderer Kosten weitere oder neue Privilegien an Hochschulen geschaffen werden.

Bei aller Kritik an den Hochschulen gilt zu berücksichtigen, daß dank der StudentInnen- und sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik die Freiräume an den bundesdeutschen Hochschulen nicht unbeträchtlich sind und deswegen ja auch durch die 4. HRG- Novelle eingeschränkt werden sollen: finanzielle Absicherungen sind zumindest, wenn auch unzureichend vorhanden, relativ liberale, das heißt partiell auf Selbstorganisation setzende Studienordnungen, partielle politische Räume für die Studierenden, mit sozialen Bewegungen verbundene Lehrende und Inhalte, die unter anderem dazu beigetragen haben, daß Menschen meiner Generation und der heutigen sich kritisch zum Wissenschaftsbetrieb und zur eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit verhalten.

Eine Veränderung von Lernen und Lehren (als unmittelbare Sofortmaßnahme: mindestens 26 Wochenstunden inklusive Betreuung für die Hochschullehrer und mindestens 1.000 Mark von deren Gehalt pro Monat für die Bibliotheken) wird daran anknüpfen und mittelfristig eine dezentralisierte Selbstorganisation des Studiums (oder wie immer das dann genannt werden soll) durch die Studierenden (oder wie immer sie dann heißen mögen) und mit deren Interessen Verbundenen bedeuten. Jeder und jede muß ohne Zulassung studieren können, möglicherweise in Kombination mit anderen Ausbildungen und Kursen, hier ist große Kombinationsvielfalt vorstellbar. Die Inhalte und Schwerpunkte sowie die gewünschten Lehrformen und ihre Vermittler und Vermittlerinnen müssen selbstorganisiert (eventuell durch gewählte Vertreter und Vertreterinnen) immer wieder neu oder auch nicht neu festgelegt werden. Lehrende können prinzipiell aus allen Bereichen der Gesellschaft kommen, je nach gefragter Kompetenz.

Bekanntlich ist der Abschluß bereits von geringem Interesse für den Beruf, viele Akademiker arbeiten ohnehin in ganz anderen Bereichen, als denen, für die sie ausgebildet bzw. glücklicherweise nicht ausgebildet wurden. Auf Abschlüsse läßt sich ohne weiteres verzichten, es reicht, wenn jemand seine inhaltlichen Kompetenzen vorzeigt und zeigt und in unterschiedlichen Kontexten von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich eingeschätzt und geschätzt wird. Damit entfällt auch der Affenzirkus Disputation und Habilitation und die ganze Titelfarce.

Dies alles weiter auszudenken und umzusetzen, schafft verständlicherweise Verunsicherung, wovon die Schreiberin dieser Zeilen sich in einem leichter, aber angenehmen Schauergefühl nicht ausnehmen kann, und zwar aus zweierlei Gründen: Gravierende Veränderungen machen Angst, vor allem, wenn sie greifbar und leicht umsetzbar erscheinen. Und: in aller Konsequenz würden durch derartige gesellschaftspolitische Umbauten der Status und die Aufgaben der Intellektuellen, heißen sie nun ProfessorInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen oder... in unserer Gesellschaft durch und durch in Frage gestellt. Es ist an der Zeit. Dr. Heike Weinbach,

Philosophin, Mitglied des

engeren Bundesvorstandes des

Bundes demokratischer Wissen-

schaftlerInnen, Berlin