Zorn der Volksgenossen

Alte und junge Nazis setzen sich auf der Hauptversammlung der IG Farben mit Gewalt durch  ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

Endlich Corporate identity bei der IG Farben in Abwicklung. Deren Hauptversammlung fand gestern in einem heruntergekommenen Bürogebäude in Frankfurt statt. Verschanzt hinter Stacheldraht und bewacht von bulligen Mitarbeitern der Firma „Guard“ versammelte sich dieselbe Gesellschaft wie alle Jahre, unter ihnen viele alte und junge Nazis. Geldgierige Yuppies, die darauf hoffen, daß sich die Nachfolgegesellschaft der IG Farben doch noch Grundstücke in Berlin, Ostdeutschland und der Schweiz unter den Nagel reißen kann. Und die Pensionäre mit Liquidationsscheinen der von den Alliierten zerschlagenen IG Farben, denen sie heute noch die Betriebsrente zahlt. Der Versuch der Liquidatoren, ein Hotel für die Tagung zu finden, war gescheitert.

„Volksgenossen“ sind sie allemal. Ihr Zorn richtete sich auch gestern gegen die kritischen Aktionäre. Und gegen die ehemaligen französischen Zwangsarbeiter aus dem KZ der IG Farben bei Auschwitz, die das NS-Programm „Vernichtung durch Arbeit“ überlebt haben. Die alten Männer, die auf ihren Mänteln den Davidstern trugen, wurden von einigen jungen Rechtsradikalen unter den rund 200 Aktionären mit „Juden raus!“ beschimpft. Im Saal sprang ein Faschist in schwarzer Kluft über zwei Stuhlreihen, um einem kritischen Aktionär, der ein Pappschild mit der Aufschrift: „Nie wieder!“ hochhielt, an die Gurgel zu gehen. Sein Kamerad konnte ihn gerade noch zurückhalten, rief jedoch noch: „Kommunistischer Provokateur“. Ein anderer unkritischer Aktionär wollte einen Kritischen aus dem Fenster werfen: „Jedes Jahr das gleiche Gesindel.“

Vor dem Vordstandstisch mit den Liquidatoren kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen den Wachleuten und Störern. Foto- und Fernsehjournalisten wurden vom Wachdienst aus dem Saal gedrängt. Auf der Herrentoilette schraubten andere Wachmänner Wasserspülungen und Handtuchspender auseinander – auf der Suche nach Bomben.

Vor dem bewachten Tor des Bürogebäudes standen rund 200 Menschen ohne Aktien und protestierten. Unerwartet fand sich noch ein Verbündeter. Die Catering-Firma, die das Mittagsbuffet ausrichten sollte, verzichtete kurz vor Mittag aus moralischen Gründen auf das Geschäft. Nichts Neues hatten die Liquidatoren zu berichten. Sie setzten auf das Bundesverfassungsgericht, das letztinstanzlich entscheiden muß, ob die IG Farben tatsächlich noch Anspruch auf Entschädigung für enteignete Grundstücke im Osten hat. Die Gegenanträge, mit denen die Kritischen die Auflösung der Firma und die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter forderten, wurden wie immer abgeschmettert.