Streit über Protestperspektive und Bonner Bafög-Demonstration

■ Demo-Veranstalter haben sich voreilig von „Störern“ distanziert, monieren Kritiker. Aufruf zu Kongreß „Bildung und Gesellschaft“

Berlin (taz) – Rechtzeitig zum Weihnachtsfest steht der studentischen Protestbewegung Knatsch ins Haus. Der Streit entzündet sich an den Vorfällen bei der Bafög- Demonstration letzten Donnerstag in Bonn. „Dutzende KommilitonInnen“ seien dort von der Polizei für ihren zivilen Ungehorsam blutig geschlagen worden, monieren studentische Kritiker, dennoch hätten sich die Köln–Bonner Veranstalter des Protestzuges vorschnell „von den Autonomen“ distanziert und auf die Seite der „überreagierenden Staatsmacht“ gestellt. Der kritische offene Brief des Koordinierungstreffens der Ruhr-Unis ist Ausdruck einer Debatte um die Ziele des Studentenprotestes im Wahljahr 1998.

Mehr und mehr entwickeln sich zwei Fraktionen bei den Streikaktivisten heraus: die Bildungsreformer, denen es darum geht, bei der bevorstehenden Novelle des Hochschulrahmengesetzes mehr Mitsprache zu erhalten und die eklatante Unterfinanzierung des Bildungswesens auszugleichen. Über diese Ziele hinauskommen wollen aber beinahe an allen Hochschulen Arbeitskreise und Streikkomitees. „Es gibt überall Gruppen, die über den März [die Beratung des Hochschulrahmengesetz im Bundestag; Anm. d. Red.] hinaus auf die Bundestagswahl hin denken“, berichtet Hagen Dorgathen vom Asta Dortmund. Die Themen dieser Gruppen: Gesellschaftliche Folgen „neoliberaler Politik“ oder die Rolle der Hochschulen in der Demokratie. Der „aktive Streik“ ist zwar an den meisten Hochschulen vorläufig beendet. „Die Aktionen wurden ausgesetzt, aber nicht abgebrochen“, betonte Isabel Martin vom studentischen Dachverband fzs. Kristallisationspunkt für das studentische Unbehagen soll der Kongreß Bildung und Gesellschaft sein. Von 8. bis 11. Januar sind dazu ausdrücklich alle Studierenden nach Berlin eingeladen, nicht nur Studentenvertreter. „Der Kongreß wird zeigen, welche Hochschulen welchen Weg gehen werden“, meinte Asta- Mitglied Dorgathen – den eines gesellschaftskritischen Ansatzes oder eines auf Uni-Probleme beschränkten. In Berlin soll daher das ganze Spektrum studentischer Politik diskutiert werden: Angefangen beim Hochschulrahmengesetz sollen auch „gesamtgesellschaftliche Entwickungen“ Thema sein. Denn der Protest, so die Veranstalter, „richtet sich gegen eine Politik, die zugunsten wirtschaftlicher Interessen die soziale Basis einer demokratischen Gesellschaft opfert“.

Große Aufregung herrscht weiterhin über die Umstände der Bonner Demonstration. 400 bis 500 Autonome, hatte es geheißen, seien gewalttätig in die Bannmeile eingedrungen. „Ich bin weder sonderlich radikal, noch gehöre ich einer autonomen Gruppierung an“, schreibt hingegen Augenzeugin Claudia Hesse von der Uni Saarbrücken. Sie hat, wie Dutzende ihrer MitdemonstrantInnen, ein Gedächtnisprotokoll angelegt. Danach fühlte sie sich „verarscht“, weil sie von der Demo-Leitung „an Kuhweiden und Schrottplätzen vorbei mitten ins Bonner Industriegebiet geleitet worden ist“. Danach im Hofgarten zu bleiben, habe sie abgelehnt, um friedlich, aber mit „zivilem Ungehorsam“ die Bannmeile zu verletzen.

Beide Richtungen des Studentenprotests waren bei der Demo nur wenige Schritte voneinander entfernt. Hier hielten zwei Regensburger Studenten ein Transparent mit der Aufschrift „Bildung schafft Frieden“ in den kalten Wind; dort verteilten Kapuzenträger „Linksruck“-Schilder. Ohne radikale Aktionen, so die Meinung vieler Demonstranten, würde den Uni- Streik niemand mitbekommen.

Die Studenten marschierten in zwei Zügen Richtung Innenstadt. Beide gerieten mit der Polizei aneinander, als sie in die Bannmeile eindringen wollten. An der südlichen Absperrung zum Regierungsviertel waren das rund tausend Studenten, darunter etwa 200 Kapuzenträger. Diese warfen Eier und China- Böller. Zwei Demonstranten wurden festgenommen. Die Polizei gestand inzwischen ein, es seien Studenten aus Mülheim und Dresden gewesen, „die offenbar nicht zum autonomen Umfeld gehören“.

Von Norden näherte sich währenddessen ein großer Teil des zweiten Zuges dem Regierungsviertel – „definitiv friedlich“, wie es heißt. Erst in Höhe der Villa Hammerschmidt gelang es der Polizei, eine Absperrung zu errichten, die den Zug zum Stehen brachte. Augenzeugen berichten nun, daß Polizisten zu Pferde in die Menge ritten und mit Reitpeitschen die Studenten zurückdrängen wollten. Als das nicht gelang, wurde Tränengas geworfen und Knüppel eingesetzt. Dutzende Studenten hätten deswegen verletzt in Krankenhäuser gebracht werden müssen.

Das Koordinierungstreffen der Ruhr-Unis verlangt von den Demo-Veranstaltern eine Entschuldigung. Für die dilettantisch organisierte Demo-Route und die Diffamierung demonstrierender Studenten als „isolierte Störer“. cif/ariel

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