Festgebissen

■ Gott oder Großmaul? Goldie stellt vorab im Mojo Club sein Album „Saturnz Return“vor

Auflegen kann er auch nicht. Genauso wenig wie singen, produzieren, ein Instrument spielen. Goldie kann nur eins: er selbst sein. Darin ist er allerdings ganz groß. So groß, daß ihm bis vor kurzem, bis talentiertere Menschen wie Roni Size oder Grooverider ihre Musik ebenfalls mit Gesichtern verkauften, der Titel des einzigen Superstars im Drum'n'Bass sicher war. Aber was heißt schon Superstar? Noch nicht einmal in England, seiner „Hood“, verkauft der Mann mit den Goldzähnen viele Platten. Die Gründe für seine Bekanntheit sind anderer Natur.

Was der andere humorlose Poser Henry Rollins, mit dem sich der Mr. Metalheads unlängst zum gemeinsamen Muskelanspannen traf, für den Hardcore darstellt oder besser: darstellte, ist Goldies Position im Drum'n'Bass – das ungebetene Großmaul, mit dem sich die Szene notgedrungen arrangieren muß. Als die Medien für den neuen Trend nach Bildern suchten, war sein tätowierter Waschbrettkörper wie von Gott gesandt. Wenn es darum geht, die böse Jugendkultur in Diskussionsrunden zu vertreten, findet sich in Goldie stets ein lebendiges Klischee. Er verkörpert den Breakbeat. In all seiner Selbstverliebtheit hat er sich als Synonym für ein Genre festgeschrieben, zu dem er erst Anfang der Neunziger stieß. Er ist kein Groovedriver, kein Kemistry & Storm. Aber Goldie kam, sah und biß sich fest.

Dabei half ihm seine Fähigkeit zur Manipulation und Menschenverführung. Goldie umgibt sich mit Kreativität, mit Individuen, die mehr können, sich aber schlechter verkaufen. Mit seinem Timeless überrollte er 1993 die bis dato über Maxis kommunizierende Gemeinschaft auf Doppel-CD-Länge. Saturnz Return, seine Ende Januar erscheinende Rückkehr, geht noch weiter. Auf CD-Länge spielt Goldie hier in einem autobiographischen Monster namens „Mother“seine Geburt nach, vereinnahmt moderne Klassik und setzt mit 62 Minuten zudem eine neue Rekordmarke für das längste Stück aller Zeiten. Derart zur Schau getragenes Ego provoziert Gegenreaktionen. Und es ist leicht, ihm die gleiche pubertäre Beschränktheit vorzuhalten, die für den gesamten Club-Circuit gilt, wo sich mit Breaks duelliert wird. Natürlich produzieren all diese Handwerker keine Revolutionen, natürlich ist es keine Avantgarde, wenn die Amplitude etwas kantiger programmiert wird oder über das Loop etwas mehr kaputte Gitarre fließt. So ist es nur zu verständlich, daß sich Goldie wie ein Prophet vorkommt. Denn er bricht tatsächlich mit Erwartungen, seine Einsätze erfolgen nicht zur abgesprochenen Zeit, sondern gerne auch mal eine Viertelstunde später oder gar nicht. Und – schockschwerenot! – manchmal verzichtet er sogar ganz auf Rhythmus. Crazy Shit.

Dies sind die Gründe, die ihn davon faseln lassen, daß er „Dinge sehen kann, die andere nicht einmal erahnen“. Sicher, durch die Pop-Brille betrachtet sieht das ganze schon anders aus. Da geht es primär darum, Stücke zu produzieren, die funktionieren. Aber Goldie versteht sich keinesfalls als Pop. Er verkauft sich als Gesandter einer anderen Welt, als Medium, das die separaten Szenen eint und dem Wahren, Schönen, Harten zum Recht verhilft.

Wenn, ja wenn er einfach nur das Maul halten und seine Platte bescheiden neben die anderen im Breakbeat-Fach stellen würde, dann würde sie dort herausragen, wie das die Türme des World Trade Centers aus Downtown Manhattan tun – schließlich ist Saturnz Return schon wieder eine Doppel-CD geworden. Diese 150minütige Dröhnung, auf der mit Noel Gallagher, KRS-One und David Bowie die Präsidenten von Rock, Hip-Hop und Geschichte die Relationen klarstellen, gibt es im Mojo-Club vorab zu hören. Danach wird der große Organisator Huldigungen entgegennehmen. Und vielleicht ein wenig auflegen.

Holger in't Veld

Di, 6. Dezember, 22 Uhr, Mojo Club