Das Leben in der Zone

St. Pauli ist seit Wochen eine No-parking-Zone. Wer kann sich das Anwohnerparken überhaupt leisten, fragt sich Radfahrerin  ■ Elke Spanner

Ivo ist ein guter Mensch. Er ist geduldig, hört sich auch langatmige Ausführungen in aller Ruhe an und bringt damit eigentlich alle Eigenschaften mit, die jemand braucht, der in ein Anwohnerparkgebiet gerät. Dabei ahnte Ivo noch gar nichts von der No-parking-Zone, als er unbekümmert zu Besuch nach St. Pauli kam. Als Berliner ist er zwar großstadterfahren, doch welche Sünde er beging, als er seinen Wagen einfach parkte, das erklärte ihm erst ein Strafzettel am nächsten Morgen.

Im Gegensatz zu Ivo weiß ich wenigstens, daß ich in einer „no-parking-area“lebe. Und so konnte ich ihn davon unterrichten, als er freudig erregt prahlte, nach rund 40minütiger Suche einen Parkplatz ergattert zu haben. Äußerst verwirrt hörte er sich den ausufernden Vortrag über die Raffinessen des Anwohnerparkens an und entschied dann, das Gebiet rund um sein Auto großräumig nach einem Schild abzusuchen. Als Fremdenführerin begleitete ich ihn, noch in der Meinung, die Modalitäten des Anwohnerparkens begriffen zu haben.

Doch diese maßlose Selbstüberschätzung wurde restlos zunichte gemacht. An der Straße, an der Ivos Wagen unschuldig stand, befand sich gar kein Schild. „Na also!“rief er übermütig aus. „Dann darf ich hier parken.“In der Tat sah es oberflächlich danach aus. Doch dank der vorherigen intensiven Lektüre vieler Schmähartikel über das Anwohnerparken schwante mir, daß Ivo vielleicht doch noch eine böse Überraschung erleben könnte.

Wir suchten weiter und wurden auf der gegenüberliegenden Straßenseite fündig. Da versuchte ein Schild zu erklären, daß irgendjemand von 8 bis 18 Uhr dort parken dürfe, jemand anderes aber nicht. Für die eine Fraktion gab es zudem einen Parkscheinautomaten. Nur für welche? Und galt die Anweisung auch für die gegenüberliegende Straßenseite?

Immer noch in der naiven Hoffnung, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, recherchierten wir unermüdlich weiter. Schließlich entdeckten wir einen Block weiter die pauschale Belehrung, wir würden uns in einem Anwohnerparkgebiet aufhalten. Nun, das hatten auch wir schon bemerkt. Nur, was das konkret heißt, verriet uns erst der Strafzettel am nächsten Morgen.

Ich erzählte unser Mißgeschick meinem Freund Jan, zunächst noch in der Hoffnung, eine ganz besondere Schote zum Besten zu geben. Wortlos erhob sich mein Gegenüber, griff zielstrebig zu einer Mappe und reichte sie mir mit einer Geste, die mich darüber aufklären sollte, daß ich die Welt erst verstehen könnte, wenn ich, die Radfahrerin, sie mit den Augen eines Autofahrers betrachten würde.

14 Strafzettel waren dort fein säuberlich abgeheftet. Dabei lebt Jan auf St. Pauli. Und er setzt eigentlich alles daran, ein redlicher Autofahrer zu sein. Zigmal hat er schon beim Einwohneramt vorgesprochen und gefleht, einen Anwohnerparkausweis bekommen zu dürfen. Auch die erforderliche Gebühr ist er bereit zu entrichten. Umsonst. Denn er hat zwar einen Untermietvertrag für seine Wohnung, kann sich dort aber aus Gründen, die nur ihn etwas angehen, nicht polizeilich melden.

Der Mietvertrag reicht dem Einwohneramt nicht aus. „Sie gehören genau zu der Zielgruppe, deren Autos wir hier weghaben wollen“, mußte er sich beschimpfen lassen. Mittlerweile hat Jan sich entschieden, die Strafzettel nicht mehr zu bezahlen. Wer kann sich das Anwohnerparken schon leisten?