Warten aufs Zuckerfest

Wenn die Weihnachtsbäume längst zerschreddert sind, feiern MuslimInnen ihr großes Fest: Bayram. Bei vielen Hamburger Familien liegen auch am Heiligabend Geschenke unterm Tannenbaum  ■ Von Heike Dierbach

Schon alle Geschenke für das Bayram-Fest gekauft? Noch gar keins? Dann geht es Ihnen wie vielen gläubigen Musliminnen und Muslimen in Hamburg mit Weihnachten. Für sie ist heute ein Tag wie jeder andere: kein Baum, keine Gans, keine Geschenke. Ihr großes Fest – Bayram – ist erst Ende Januar, nach dem Fastenmonat Ramadan.

Etwa 280.000 HamburgerInnen sind im Ausland geboren oder haben ausländische Eltern, mehr als ein Zehntel der Bevölkerung. Sie bringen nicht nur ihre Geschichte, ihre Sprache und Kultur mit in die Hansestadt, sondern auch ihre Feiertage, religiös oder geschichtlich begründet. Die größte nichtchristliche Gemeinde stellen die MuslimInnen mit rund 75.000 Mitgliedern, etwa 30.000 von ihnen sind Schulkinder in deutschen Schulen. Dort wurden in den vergangenen Wochen unzählige Plätzchen gebacken, Sterne gebastelt und Weihnachtslieder gesungen. An der Vorbereitung für den „Heiligen“Abend kam keineR vorbei. Unbekümmerte Freude oder kulturelle Verwirrung für die kleinen MuslimInnen?

„Die Adventszeit ist für alle Kinder die beste in der Schule“, sagt Marlies Kiesel, Klassenlehrerin an der Schule Arnkielstraße, „eine Kerze ist einfach universal schön.“Probleme mit dem Rummel für das „christliche“Fest haben die muslimischen Kinder in ihrer 5 b nicht – im Gegenteil. Keine Geschenke? Kein Kerzenschein? Da würden Maya, Gamze, Suzan und Moussa aber protestieren. Die FünftkläßlerInnen sitzen mit leuchtenden Augen vorm festlich geschmückten Tannenbaum in der Pausenhalle. Ihre Eltern kommen aus dem Libanon, der Türkei und aus Kurdistan. Maya und Suzan besuchen regelmäßig die Moschee, Suzan trägt ein weißes Kopftuch. Weihnachten finden sie trotzdem alle gut und – „das können wir ruhig feiern“, erklärt Maya bestimmt.

Wenn die muslimischen Kinder einmal an einer Schulveranstaltung nicht teilnehmen können, erzählt Marlies Kiesel, gebe es Wutanfälle und Tränen. Ingrid Gogolin, Professorin für Interkulturelle Bildung an der Universität Hamburg, wundert sich darüber nicht: „Weihnachten ist doch sowieso kein christliches Fest, sondern Folklore.“Alle Menschen, die in einem anderen Land leben, würden sich anpassen, meint die Wissenschaftlerin und warnt davor, die Frage nach feiern oder nicht feiern zu „problematisieren“.

Özlem aus Dulsberg feiert heute nicht, vermißt aber auch nichts. „Als Kind war ich schon neidisch“, erzählt die Fünfzehnjährige, „aber jetzt brauche ich das nicht mehr. Ich bekomme meine Geschenke zu Silvester.“Bei vielen muslimischen Hamburger Familien liegen heute Geschenke unterm Tannenbaum. „Wenn man gar nicht feiert, leiden die Kinder bestimmt“, meint Cengiz Orhan, Mitarbeiter der Ausländerinitiative St. Georg. „Man sollte ihnen das Fest nicht vorenthalten.“Für ihn ist die Frage des Feierns ein Kulturkonflikt „in den Köpfen“. Die Einstellungen der Muslime zu Weihnachten seien aber von Moschee zu Moschee in Hamburg verschieden. Selbst in der Türkei, vor allem in den Städten, wird am Heiligabend, oft aber auch an Silvester, mit Tannenbaum gefeiert, und die Geschäftsstraßen Istanbuls schmücken Sterne und Weihnachtsmänner.

Aber – für strenggläubige MuslimInnen ist Weihnachten dennoch ein Fest der „Ungläubigen“, erzählt Orhan. Fatih Yildiz vom Bündnis der islamischen Gemeinden in Hamburg sieht es kritisch, „wenn man nur feiert, weil es alle machen“. „Eine gewisse Distanz ist notwendig, da es nicht unser Fest ist“, sagt der gläubige Moslem. Die Kinder dürften nicht vergessen, daß sie einer anderen Religion angehörten. Dennoch hat auch er Verständnis für die kleinen MuslimInnen, denn „Weihnachten hat schon etwas“. Zwar sei Bayram, das Zuckerfest, ein vergleichbar großes Fest, aber in Deutschland halt nicht das gleiche wie in der Türkei. „Das führt vielleicht zu Minderwertigkeitsgefühlen bei den Kindern hier“, befürchtet Yildiz. Seine Gemeinde versucht deshalb, dem Nachwuchs auch in Hamburg zum Zuckerfest ein Gefühl der Feierlichkeit zu vermitteln. Die Moschee wird geschmückt, und diesmal wird es Spiele und eine Hüpfburg geben.

Auch Özlem findet Bayram „am schönsten in der Türkei“, wenn die ganze Stadt feiert. Mit ihrer deutschen Schule Bayram feiern, so wie zu Weihnachten? Ungläubiges Kichern. Das kann sie sich nicht vorstellen. „Da würden die Deutschen nicht mitmachen“, fürchtet sie. Manche Lehrer gäben ihr nicht einmal schulfrei. Das findet Özlem ungerecht: Wenn die Deutschen an ihren Festen frei bekämen, warum dann nicht auch sie? Tatsächlich dürfen muslimische SchülerInnen laut Richtlinie des Amtes für Schule an ihren Feiertagen zu Hause bleiben. Alle Schulen werden vom Amt über die aktuellen Daten informiert.

Die SchülerInnen in der Arnkielstraße kennen diese Probleme nicht: Sie feiern jedes Jahr gemeinsam Bayram mit Spielen, türkischem Essen und Süßigkeiten – und alle sind begeistert. Eine türkische Lehrerin organisiert das Fest. Doch in ganz Hamburg gibt es nur etwa 60 türkische Lehrkräfte. „Auch die Eltern könnten dazu anregen, islamische Feste in der Schule zu feiern“, meint Cengiz Orhan. Aber viele trauten sich nicht, auch aufgrund von Sprachproblemen. Für Professorin Gogolin ist die Sache klar: Die Schulen sollten entweder alle Feste feiern – oder gar keins.

Damit fängt man am besten so früh wie möglich an – wie im Kindertagesheim der Christuskirche. „Wir haben zu Nikolaus gezielt nach Geschichten gesucht, die sowohl in der Bibel als auch im Koran vorkommen“, berichtet Leiterin Andrea Bernitt. Etwa ein Drittel ihrer Schützlinge ist muslimisch. Auf Anregung der Eltern beschäftigt sich im kommenden Jahr ein Arbeitskreis mit der Idee, Feste anderer Kulturen in der Kita zu feiern. Mitarbeiterin Sevgi Büyüksapci hat damit in einem deutsch-türkischen Kindergarten gute Erfahrungen gemacht, „aber das war ganz schön anstrengend mit dem vielen Feiern“, lacht sie.

Der kleine Atikin aus ihrer Gruppe sortiert derweil seine Süßigkeiten. Daß bei ihm zu Hause nicht gefeiert wird, ist ihm egal. Aber er widmet sich jetzt eh lieber seinen Goldtalern als den „viiielen“Fragen über Weihnachten.