Das zweite Leben der Bäume

■ 400.000 Tannen, Fichten und Kiefern, größtenteils aus Dänemark, finden ihren Lebenszweck als Baumleichen in Berlin und enden als Kompost. Der Trend geht zum Zweitweihnachtsbaum

Beinahe wären Zehntausende von Weihnachtsbäume in diesem Jahr umsonst gestorben: Durch den Lkw-Streik Ende November blieben auch etwa 200 Lastwagen mit Tannen, Fichten und Kiefern an der dänisch-deutschen Grenze hängen. Dänemark als weltgrößter Exporteur von Weihnachtsbäumen blieb auf seinem Produkt sitzen – und in Berlin fehlten die Bäume zum ersten Advent.

Knapp 400.000 Weihnachtsbäume werden pro Jahr nach Berlin geliefert – „kein Beitrag zum Waldsterben“, wie selbst der Umweltverband BUND beruhigt. Schließlich werden die Bäumchen zehn Jahre lang auf eigenen Plantagen gezüchtet, ehe sie die Axt ereilt. Eine Ökobilanz für das kurze Leben der Bäume einschließlich Lkw-Transport gibt es nicht, doch man bemühe sich um „möglichst umweltschonende Weihnachtsbaumproduktion“, heißt es vom „Tannen-Paradies“, einem der Mega-Importeure: „Viele der verkauften Bäume sind richtige Öko-Bäume.“

Das nun sieht der BUND anders. Schließlich wüchsen die Tannen, Fichten und Kiefern (Berliner Lieblingsbaum ist die Nordmanntanne) in Plantagen, wo vorher einmal üppige Waldvegetation herrschte. „Nach fünf bis zehn Jahren ist die Fläche dann für jede landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar geworden, weil die Nadelstreu den Boden versauert und verdorben hat“, heißt es in einem Faltblatt zum „Grünen Weihnachtsmann“. Am sinnvollsten sei der Kauf von Weihnachtsbäumen beim Revierförster, der sie aus dem Wald schlägt. Auch im Umland gibt es viele Waldschulen, wo man seinem Weihnachtsbaum mit der eigenen Säge zu einem zweiten Leben verhelfen kann.

„Nur jeder zwanzigste Berliner kauft einen Weihnachtsbaum“, meldet betrübt das „Tannen-Paradies“, während auf dem Land jeder fünfte ein Tannenfan sei. Schuld daran sind die vielen Single-Haushalte, weil der Weihnachtsbaum schließlich eine Familienangelegenheit sei, und der hohe Anteil von Ausländern, die sich dem Tannenmord widersetzen. Dennoch gibt es Hoffnung, melden die Verkäufer: „Viele Familien sind ganz verrückt nach einem Zweitweihnachtsbaum im Kinderzimmer.“

Aufräumen nach dem Fest muß wieder einmal die Stadtreinigung (BSR). Bis Mitte Januar sammelt sie die vom Lametta-Giftmüll befreiten Baumleichen mit ihren Lkw für die Sperrmüllabfuhr ein. Die gebrauchten Bäume wandern ebenso wie die nichtverkauften in die Häckselmaschine, wo sie zu „Strukturmaterial für die Kompostierung“ zerschredddert werden, erklärt Bernd Müller von der BSR. Bis auf die wenigen Weihnachtsfans, die die Termine für den Abtransport ihrer nadelnden Lieblinge verpassen, gehe das alles ohne größere Probleme ab.

Schwierigkeiten mit der Entsorgung gibt es ab und zu in kalten Wintern: In den letzten Jahren flogen viele ausgediente Bäume auf die zugefrorene Spree. Als das Eis taute, schwammen sie durch die Stadt und sammelten sich vor den Schleusen.

Wer allerdings Lorbeeren für wirkliches Recycling ernten will, kann sich an einen Vorschlag halten, für den der Künstler vergangene Woche den dritten Platz beim Umweltpreis Mitte errungen hat: Das biegsame Gewächs wird zu einer „wunderschönen Skulptur“ umgemodelt, das sich der Weihnachtsfan ins Schlafzimmer stellen kann oder zur Hofbegrünung mit Efeu beranken läßt. Bernhard Pötter