Wenn, dann eine wie Claudia Schiffer

Was vom Jahre übrig bleibt, ist dies: Keine Angst. Keine Tränen. Spaß, Matthäus. Plus weitere unzusammenhängende Sätze aus den sieben Notiz-Chinakladden eines Sportreporters  ■ Von Peter Unfried

In einem Berliner Hotel steht am Jahresanfang Herr Hans Mahr und lächelt freundlich. „Wenn man einen Rocchigiani verpflichtet, muß man sich auf einiges gefaßt machen“, sagt der Informationsdirektor von RTL. Aber erstens: „Rocchigiani hat ja nicht gedopt. Jedenfalls ist das nicht bewiesen.“ Zweitens: „Unsere Toleranzschwelle ist sehr hoch.“

Ein paar Tage und einen nicht sehr erheblichen Kampf später. Eines, sagt Mahr, wisse er nun gewiß: „Ohne Graciano wird nicht um die WM geboxt!“

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„Hallo, ich!“

„Im Stadion.“

„Nullnull, hoho.“

(Falls es noch eines Beweises bedurft hätte, daß ohne Handy kein Leben ist.)

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Hera Lind über Peter Graf: „Verglichen mit den Taten der Kinderschänder ist sein Vergehen ein Witz.“

Ist das eine Entschuldigung? Gleiches gilt ja auch für sie.

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Im Ring zu Oberhausen gibt Heiner Lauterbach sein bestes Playback, einen womöglich Wondratschek-artigen (oder doch nicht) „Boxer-Blues“ – wird aber, seltsam, nur böse geschmäht. Dafür rächt er sich, als er kleinbürschig durch die Reihen hurtig eilt, zwischen starken Männern, umdrängt von der Masse (also: mir) – völlig eclipsed von –, aber auch sich sonnend in etwas Blondem, etwas sehr ausladend Blondem. Das ist natürlich Jenny Elvers.

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(Lese laut aus Bild vor): Ist Gott ein Linkshänder?

M. (interessiert): Karel Gott?

(Falls es noch eines Beweises bedurft hätte, daß der Atheismus Weltreligion ist.)

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Im Westfalenstadion (Dortmund) hängt am 9. April ein Plakat: Christine Wiegelmann, gib mir bitte noch eine Chance. Ich liebe dich. Jörg Scheiwe.

Ein zweites Plakat, weiter unten: Christine grüßt Super BVB.

Na, manchmal wird der Härteste sentimental. Vergißt das Spiel und stellt sich Fragen: Handelt es sich um dieselbe C.?

Wie sieht C. aus? Ein Verdacht: Bestimmt eher wie Christiane Paul – und weniger wie Jenny Elvers.

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Notizen zum Tagebuch: Ein sehr subjektives, detailfreudiges Panoptikum, in dem der scharfzüngige L.M. nicht ohne Selbstironie und mit beträchtlicher Lust an der Sottise mitteilt, was den Alltag eines wunderbaren Menschen und Fußballers definiert.

Letzten Satz streichen.

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Geschichte im Herberger-Jahr richtig verstehen: Während sonst allenthalben der Reichstrainer H. ausgeblendet bleibt, arbeitet Frau im Spiegel, 36/97 („Das war unser Jahrhundert“) auf:

„Sepp Herberger, Reichstrainer ab 1936, beendet die Erfolglosigkeit der Fußball-Nationalmannschaft. 1939 gewinnt man bereits 9 von 15 Spielen.“

Was FiS entging: 1941 und 1942 kommt es sogar noch besser.

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Eine Halbzeit später ist das Plakat in sich zusammengefallen. Um 21.35 Uhr sind nur noch zwei Worte zu lesen: Christine Chance.

Später sentimentales Grübeln im Liegesessel eines IC Night: Ob sie sich erneut kriegen? Oder ein anderer sie? Christine, melde dich! (Aber nur, wenn du aussiehst wie Paul!)

(Oder Elvers.)

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Notizen zum Tagebuch: Reflexionen eines Individuums, das in der Postpostmoderne Herausforderung seines Seins ahnt?

Letzten Satz streichen.

Beckenbauer: „Ich werde dieses Tagebuch bestimmt nicht lesen und gehöre auch nicht zu den 50.000 Deppen, die es schon gekauft haben.“

Letzten Satz unterstreichen.

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Westfalenstadion. Auf der Tribüne hackt ein Mann in die Maschine, als gelte es sein Leben. Massimo. Italiener. Hackhackhack. Andere starren auf den Rasen. Stöhnen. In dem wohliges Staunen mitschwingt. Massimo, während er weiterhackt, fragt bloß: „Cantona?“

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Seltsame Sätze gefunden: „Wenn die Welt also sinnlos ist – was tun? Dem Nichts eine Form geben? Es in Spaß kleiden.“

Spaß als Gegenteil von Angst. Spaß ist da, wo das Leben durch Verzerrung unwirklich und angstfrei wird.

Noch ein Satz: „Der fitte Körper ist der Ort, an dem sich Spaß ereignen soll.“ (Satz-Erfinder nicht mehr eruierbar.)

Spaß als Programm, aber auch als Information, sozusagen.

Ist Spaß Informationsdirektor?

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Juli, Tour de France. Sportjournalist des Jahres: Scharping.

(Keine Angst, war nur Spaß.)

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Cottbus, Marktplatz. Zwei Tage vor dem DFB-Pokalfinale. Vor „Carsten's Wunderbar“ sitzt der Regionalligaspieler Willi Kronhardt. „Ich weiß nicht, wie er's macht“, sagt er. „Ich steig' in den Bus und hab' so einen Kamm.“ Er zeigt, was für einen Kamm er hat. „Ich verdiene gutes Geld, aber ich arbeite auch sehr hart dafür.“ Er überlegt. „Keiner weiß, wie Eduard Geyer mit uns trainiert“, sagt er und blinzelt in die Sonne. Dann erzählt er von den Billigarbeitskräften aus dem Osten, mit denen Geyer ihm noch schnellere Beine macht. Für den ist das kein Spaß.

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Sammer (in BamS): „Daran kranken viele in unserer Gesellschaft. Sie malen schwarz, obwohl's noch gar nicht schwarz ist.“

Die Arbeitslosenzahl im Amtsbezirk Cottbus im Februar: 62.534 (+6.616 gegenüber 1996). Das sind 21,9 Prozent.

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Wenn ein Satz übrig bleiben sollte von Matthäus' Tagebuch, dann dieser: „Und wenn dein Reden auch stockfalsch und blödsinnig ist: Hauptsache, du tust wieder den Mund auf.“

Hm. Oder ist er aus Peter Handkes „In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“? Oder ist es einerlei?

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Bohlen: „Und brauchst du wirklich immer eine große Oberweite?“

Lauterbach: „Ich hatte schon Frauen mit kleinem Busen.“ (Bild, 27. November)

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Sammer (in BamS): „Mensch, Leben bedeutet doch Dankbarkeit! Dankbarkeit, daß ich leben darf. Der liebe Gott hat uns doch nur eines gegeben.“

Kohler: „Wie gesagt, der Pfostenschuß.“ (Oktober)

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Paros Stadt, Ende September: C., die sich als Super-Frau herausgestellt hat, blickt aus dem Sportteil der SZ auf und sagt versonnen: „Also, ich habe noch kein einziges Mal ,ran‘ gesehen. Mir ... fehlt nichts. Das ist alles so...“

Uninteressant?

„Genau.“

(Zwei Minuten später): „Also, hoffentlich wird diesen 1860ern mal so richtig in den Arsch gefickt...“

(Wieder eine Minute später): „Heh, du sollst das nicht aufschreiben!“

(Zu spät.)

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Im Presseraum des Athener Olympiastadions steht Vita Pawlisch und kichert. Grade hat sie WM-Silber im Kugelstoßen gewonnen. Hinter Astrid Kumbernuss. Die erzählt seit Monaten, Pawlisch sei gedopt. Ihr Trainer sagt, die Ukrainer seien überhaupt geklont. „Astrid ist verrückt“, sagt Pawlisch und amüsiert sich prächtig. Der Generalsekretär ihres Verbandes reißt an ihrem blondgefärbten Kopf. Man soll den Kopf fotografieren. Ob so ein Monster aussehe?

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Leipzig im April. Der Boxer Valdez hat drei Kinder. Seine Scheidung läuft. „Sich scheiden zu lassen ist leicht“, sagt er. „Aber wenn man das geschafft hat, muß man dafür bezahlen.“ Er hatte ein halbes Jahr kein Engagement. „Die Sache mit Axel“, sagt Valdez, „er kam aus dem Nichts und kriegte drei WM-Kämpfe. Es ist nicht ein Frage von was du tust, sondern wen du kennst.“ Er sagt das nicht klagend. Eher hoffend. „Ganz ehrlich: Ich brauchte diesen Kampf.“ Valdez gewinnt gegen Schulz keine einzige Runde.

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„Ich bin kein Monster“, sagt Pawlisch. Warum sie im Frühsommer nie bei überprüften Wettkämpfen auftaucht? Das Knie, das Knie. Wenn das mal besser ist, soll Astrid sich bloß vorsehen. Bei Olympia wird Vita Weltrekord stoßen. Aber, Frau Pawlisch ... liebe Vita, Weltrekord? Im postanabolen Zeitalter? Der liegt doch zwei Meter entfernt.

„Schreiben Sie: Weltrekord!“ Jetzt fängt Pawlisch vor Lachen so stark zu vibrieren an, daß man Angst um ihr Knie kriegt. Sie sieht überhaupt nicht wie ein Monster aus. Eher wie Susen Tiedtke.

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Man stelle sich mal vor, L.M. wäre in einem Münchner Stadiontunnel gegen einen Torpfosten oder Pfeiler gerannt.

Bereite diesen Satz vor (um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein): „Lothar Matthäus, wie wir ihn kennen, hat nie existiert. Es gibt nur seinen Look, seine Kleidung, seine Kostüme, sein Parfüm, seine Frisur, seine Auftritte.“

Bereite vor: „War etwa L.M., wie auch V.F., H.L. und J.E., bloß eine Pose, hinter der die Menschen verschwommen bleiben?“

Absatz streichen.

Dafür: „Do ut des.“ (Erich Böhme über Dodi und Di)

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Frage an einen Hohenschönhausener Profiboxer namens Trabant (19), wie er sich eine Partnerin für Tisch und Bett vorstelle.

Trabant: „Wenn, dann wäre eine wie Claudia Schiffer gut.“

Bis es soweit ist, macht sein Trainer ihm Frühstück und Spaghetti.

Bis es soweit ist, schleicht sein Trainer unbeachtet durch Pressekonferenzen, in denen Rocchigiani und Mahr das Wort führen.

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„Sex, das ist für mich die Vervollkommnung, die höchste Erfüllung unserer großen Liebe.“

Wer hat das gesagt? Lauterbach? Kumbernuss? Trabant?

Sammer (in BamS).

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Athen, August, im Angesicht einer Akropolis und eines gedopten Kugelstoß-Goldmedaillengewinners (aus der Ukraine) einen Satz aus dem Zusammenhang gerissen und notiert: „Sie griffen nach dem Gold wie Affen.“ Sagten die Azteken über die Spanier. Später gossen sie es den Gierhälsen flüssig durch dieselben.

(Gold schmilzt bei 1.063 Grad Celsius.)

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In einem Berliner Hotel steht am Jahresende Herr Hans Mahr und lächelt verbindlich. Je mehr WM-Kämpfe man dem Sohn eines sardischen Eisenbiegers vermittelte, desto mehr Atteste schaffe der heran.

„Er hat uns nicht enttäuscht“, sagt Mahr. Er braucht ihn noch.

„Herr Mahr hat mich auch nicht enttäuscht“, antwortet Rocchigiani. Er braucht ihn noch.

Später sagt Mahr in seinem schönen österreichischen Singsang: „Don't cry about spilled milk.“ Und: „Ein Boxer muß zumindest Deutsch sprechen können.“ RTL werde auch 1998 „sicherlich die Nummer 1“ bleiben. Aber wie man in seiner Heimat zu sagen pflegt: „Es liegt eben nicht alles unterm Christbaum.“ So wahr geht das Jahr zu Ende.

„Wer sind für Sie die klügsten Köpfe unserer Zeit?“

„Lothar Matthäus, Mario Basler, Berti Vogts.“

Bruno Jonas, Kabarettist, Passau

in Die Woche 27/97