„Wahlfälschung“ in Serbien bleibt ohne Folgen

■ Nationalist Vojislav Šešelj hat bei Anfechtung kaum Chancen auf einen Erfolg

Belgrad (taz) – Mit Milan Milutinović hat Serbien endlich denjenigen Präsidenten, den das Oberhaupt der Serben, Slobodan Milošević, in diesem Amt sehen wollte. Alle Proteste und Beschwerden der radikalen Nationalisten, die ihren Führer, Vojislav Šešelj, schon auf dem serbischen Thron gesehen hatten, werden daran nichts ändern können. Milutinović ist ein Kandidat des Regimes Milošević, genauso wie die Mitglieder der Wahlkommission und – sollte Šešelj auf seiner Anfechtung bestehen – die Richter des Oberste Gerichtshofs. Mit ähnlichen guten Aussichten auf Erfolg könnte Šešelj auch den neuen serbischen Präsidenten bitten, im Namen der demokratischen Wahrheit zu seinen Gunsten abzudanken.

Während unabhängige Wahlbeobachter empört von Konfusion berichten und professionelle serbische Politiker pflichtgemäß erbittert protestieren, regen sich die Serben kaum auf. Der Wahlspaß ist vorbei, und Drohungen, halbherziger Aufruhr, Klagen und Gegenklagen gehören hier mittlerweile zur Wahltradition. Niemand nimmt das noch ernst oder glaubt etwa daran, daß das Slobodan Milošević zum Einlenken veranlassen könnte. Zwar sind sich alle darin einig, daß Milutinović Šešelj überzeugend geschlagen hat. Und das nicht zuletzt dank der aggressiven, auf massenhafter Korruption beruhenden Wahlkampagne der herrschenden Linken Koalition, die die Bauern noch kurz vor der Wahl von den fälligen Steuern befreit hatte.

Was jedoch den formalen Ablauf angeht, sprechen die meisten Beobachter von massiven Wahlfälschungen. So nennen die Vertreter der OSZE mehere Orte in der Provinz Kosovo, wo aus Wahllokalen, die gar nicht geöffnet waren, eine Stimmbeteiligung von 100 Prozent mit einem Anteil für Milutinović von ebenfalls 100 Prozent gemeldet wurde.

Auch die Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Drasković, die Demokratische Partei (DS), die unabhängige Studentenorganisation sowie Wahlforschungsinstitute, die in ganz Serbien mit Beobachtern vertreten waren, schließen sich dieser Kritik an: Die Beteiligung habe unter 50 Prozent gelegen, die Wahlen seien daher ungültig. „In Serbien, ohne Kosovo, lag die Wahlbeteiligung nach offiziellen Angaben bei 53 Prozent. Damit die gesamte Wahlbeteiligung die 50-Prozent-Marke erreicht, müßte die Beteiligung im Kosovo mindestens 30 Prozent erreichen“, erklärte der Pressesprecher der SPO, Andjelko Trpković. Das aber sei Schwachsinn. Kosovo sei zu 90 Prozent von Albanern bewohnt, die alle serbischen Wahlen und den serbischen Staat im allgemeinen boykottieren.

Obwohl die gesamte bürgerliche Opposition und unabhängige Medien von Wahlfälschung ausgehen, wird sich kaum jemand dafür einsetzen, daß der Ultranationalist Šešelj zu seinen Rechten kommt. Seine Radikalen sind ohnehin die stärkste Partei im Lande.

Und so wirkt der sonst so siegesbewußte Šešelj mit seinen kriegslüsternen Sprüchen zum ersten Mal ohnmächtig. „Ich fordere eine Staatskommission, die den Wahlbetrug feststellen und die Wahlen annullieren wird“, brüllt Šešelj. Nur: Eine derartige Insititution, der Vertreter aller Parteien angehören würden, gibt es bislang in Serbien Überhaupt nicht. Andrej Ivanji