Eine Einheitsfront von Konservativen und Autonomen

■ „Stramm Konservative und Autonome“ müßten gegen rechte Gewalt vorgehen, meint Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg

Der in Argentinien geborene Erardo Rautenberg (45) ist seit März 1996 Generalstaatsanwalt in Brandenburg. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als oberster Strafverfolger ist Rautenberg aktives Mitglied in der Menschenrechtsorganisation amnesty international sowie in der SPD.

taz: 517 rechtsextreme Straftaten wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik im vergangenen Jahr im Land Brandenburg verübt. Das ist mehr als eine Straftat am Tag – in einem Land mit zweieinhalb Millionen Einwohnern. Hat sich in den vergangenen Jahren überhaupt etwas getan?

Erardo Rautenberg: Die staatliche Bearbeitung ist besser geworden. Nach der Wende waren Polizei und Justiz in den neuen Ländern in einem schlechten Zustand. Dadurch ist vielfach unzureichend ermittelt worden. Außerdem hat sich herumgesprochen, daß rechtsextreme Straftaten für mich höchste Priorität haben. Ich habe ein Auge darauf, daß diese Fälle zügig bearbeitet werden. Dasselbe gilt übrigens für Innenminister Alwin Ziel.

Im Bewußtsein der Öffentlichkeit spielt die Frage der politischen Motivation eine enorme Rolle. Immer wieder heißt es, dieser oder jener Täter sei zu dumm, um politisch zu denken. Oft wird das auch zur Entlastung verwendet.

Nach meiner Einschätzung steckt bei den meisten keine gefestigte Ideologie dahinter, die man abfragen könnte. Ich halte aber den Schluß, daß die Taten keinen politischen Hintergrund hätten, für falsch. Denn sie zeigen ein Ausmaß an Menschenverachtung, das über die Vorstellung eines zivilisierten Menschen weit hinausgeht. Eine derartige Geisteshaltung findet man eigentlich nur in einer faschistischen Gedankenwelt, in der sich nach meiner Meinung übrigens auch die RAF mit ihrer Unterscheidung zwischen Menschen und Schweinen befand.

Teilen Sie die Ansicht, daß in Brandenburg „national befreite Zonen“ entstanden sind, die von Ausländern und Andersdenkenden zu bestimmten Tageszeiten oder auch grundsätzlich gemieden werden?

Ja. Und das ist ein gesellschaftlich unerträglicher Zustand. Diese Zonen zeigen eine klare Analogie zu der Zeit, als „Juden unerwünscht“ waren. An dieser Stelle wird übrigens auch deutlich, daß es durchaus einen Überbau gibt: Die organisierte Rechte ruft dazu auf, diese Zonen zu schaffen. Polizei und Staatsanwaltschaft alleine sind aber nicht imstande, dem ein Ende zu bereiten.

Wer wäre dazu imstande?

Eine breite Einheitsfront von stramm Konservativen bis zum autonomen Spektrum. Mit diesem Aufruf bin ich zwar schon einmal mißverstanden worden: Natürlich will ich keine linken Gewalttäter miteinbeziehen, die meinen, daß man auf Rechtsextreme mit Gegengewalt reagieren sollte. Aber ich halte es für wichtig, daß man sieht, welche Gefahr im Verzug ist. Daß hier Menschen, nur, weil sie anders aussehen, sogar totgeschlagen werden. Angesichts dessen muß man das Gemeinsame sehen und nicht das Trennende.

Damit, einem Staat unter die Arme zu greifen, der sie selber bekämpft, hat die Antifa-Szene aber natürlich Probleme.

Das ist mir schon klar. Aber zu behaupten, daß der Staat mit den Rechtsextremisten unter einer Decke steckt, ist meiner Ansicht nach auch völlig falsch.

Wie ist Ihr Aufruf aufgefaßt worden?

Natürlich ist so etwas nur begrenzt wirksam, weil wir es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun haben.

Die Öffentlichkeit in Brandenburg hat nicht reagiert?

Doch. Die breite Mehrheit der Bevölkerung steht nicht dahinter, daß man Leute auf der Straße totschlägt – auch wenn viele Vorbehalte gegen Ausländer haben. Aber diese Mehrheit steht eben zu selten auf, wenn solche Straftaten geschehen. Wenn man daran etwas ändern will, müssen zunächst die Leute in staatlichen Schlüsselpositionen ein Vorbild bieten. Und da geht meines Erachtens die Landesregierung mit ihrem Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit mit gutem Beispiel voran.

Mehr Zivilcourage in der Bevölkerung setzt erst einmal mehr Toleranz voraus. Ablehnung von Immigranten und Flüchtlingen gilt aber als völlig normal.

Ich bin da anspruchslos. Wenn mir jemand sagt, es gebe zu viele Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, sage ich ihm: Gut, ich sehe das anders, aber was hältst du davon, wenn man einen Ausländer zusammenschlägt?

Wenn er dann sagt, das sei nicht in Ordnung, bin ich schon zufrieden. Wenn er sich dafür einsetzt, daß das nicht passiert, bin ich noch zufriedener.

Damit befinden Sie sich in Opposition zu vielen, die glauben, daß die Schläger aus der rechten Szene nur umsetzen, was ihnen zu Hause beigebracht wird.

Natürlich gibt es fremdenfeindliche Gesinnungen, die weitergegeben werden. Aber ich denke, daß die Jugendlichen diese nicht nur umsetzen, sondern potenzieren – und etwas tun, was von der breiten Masse nicht getragen wird. Da müssen wir ansetzen: Wir brauchen einen Common Sense, der besagt, daß jeder Ausländer, der hier ist, aus welchen Gründen auch immer, menschenwürdig behandelt wird. Wer das nicht unterschreibt, ist ein Lump. Interview: Jeannette Goddar