Betr.: Der Fotograf Christian Jongeblodt in Kroatien

Wäre es nach den kroatischen Militärbehörden gegangen, dann hätte Christian Jungeblodt dieses Foto nie gemacht. Andere Flüchtlingslager im früheren Jugoslawien waren ihm und seinen Kollegen bereitwillig vorgeführt worden. Nur dieses Camp im Niemandsland zwischen Bosnien und Kroatien sollte offenbar verborgen bleiben.

Im Sommer 1995 war Jungeblodt dreimal in den Bürgerkriegsgebieten. Das obige Foto entstand auf seiner zweiten Reise im August. Es war gegen Ende des Krieges, als gerade die letzten Vertreibungen durchgeführt wurden. Jungeblodt kam damals aus Zagreb, wo er von der Existenz des geheimen Flüchtlingslagers gehört hatte. Hinter dem völlig zerstörten Karlovac häuften sich die Straßensperren, „alle naslang kam einer, fuchtelte mit der Maschinenpistole herum und redete auf uns ein.“ Als sie das Lager schließlich erreichten, war es von kroatischen Soldaten umstellt. An einer Landstraße campierten auf zehn Kilometern etwa 20.000 Menschen im Freien. Sie waren in Autos, Planwagen, auf Traktoren gekommen.

„Die meisten sahen total übermüdet aus, fast apathisch“, erinnert sich Jungeblodt. Es handelte sich um bosnische Muslime aus der Umgebung der eingekesselten Stadt Bihac, die von ihren eigenen Leuten vertrieben worden waren, weil ihr Patron, der Wirtschaftsmagnat, Ex-Chef des staatlichen Landwirtschaftskonzerns Agrocommerz, Fikret Abdic, während der Belagerung Bihac' mit den Serben paktiert und glänzende Geschäfte gemacht hatte.

Im Lager fing Jungeblodt hastig an zu fotografieren. In der Eile entging ihm zunächst die Ausdrucksstärke des Bildes mit dem Jungen und seinem Spielzeuggewehr. Erst zu Hause, bei Durchsicht der Negative, fiel ihm das Foto auf, mit diesem Kindergesicht, in dem sich eine eigentümliche Mischung aus geistiger Abwesenheit, Verwirrung und Aggression spiegelt. „Der Junge hat nicht kapiert, was ich mache, aber ich behaupte, er hat auch nicht gewußt, was er da gerade macht.“

Die Hoffnung der Vertriebenen auf Hilfe von ihrem „Führer“ Fikret Abdic war im übrigen vergebens. Immerhin: Monate später einigten sich die bosnische Regierung und der Flüchtlingskommissar der UN. Die Flüchtlinge, mit Ausnahme derjenigen, denen ein Verbrechen vorgeworfen wiurde, durften wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehren.