Bundeshauptstadt Berlin bleibt bunkerfrei

Wenn Parlament und Regierung 1999 in die Hauptstadt ziehen, wird ihnen ein sicherer Zufluchtsort fehlen: Der Regierungsunterschlupf in Bonn wird geschlossen, für einen Berliner Atombunker fehlt das Geld  ■ Von Bernhard Pötter

Berlin (taz) – Von unterirdischen Bunkeranlagen haben die Regierungsarchitekten die Nase voll. Ihre Planungen wurden seit 1992 mehrfach durch unterirdische Bunker und Tunnel unter dem künftigen Regierungsviertel behindert: Da gab es den „Fahrerbunker“, den Unterschlupf der Chauffeure von Nazi-Größen, später wurden unterirdische Fluchtgänge aus der ehemaligen Reichskanzlei entdeckt. Und schließlich stellten sich die Tunnelzufahrten zur geplanten „Germania“-Halle nördlich des Reichstages den Bundesbauten in den Weg. Die Planer ließen den historischen Boden kurzerhand „tiefenenttrümmern“ – die Bunker wurden geschleift.

Jetzt steht das Thema „Regierungsbunker“ wieder auf der Tagesordnung, weil die Bundesregierung den „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“ in Marienthal bei Bonn schließen wird. Das 30 Kilometer lange Tunnelsystem, bis zu 300 Meter tief in die Weinberge südlich von Bonn gegraben, entspreche nicht mehr dem „heutigen Stand der Technik“, verlautbarte Innenminister Manfred Kanther (CDU). Zur Sanierung der Anlage, die im „Verteidigungsfall“ den oberen 2.000 der politischen Klasse Atomschutz bieten soll, müßten insgesamt knapp 200 Millionen Mark aufgebracht werden. Die „gegenwärtige sicherheitspolitische Lage“ und der Sparzwang mache die Anlage „entbehrlich“.

Damit fehlen Bundesregierung, Bundesrat, Bundestag, Bundesverfassungsgericht, Bundesbank und Bundespräsidialamt nach einem Umzug nach Berlin die Schlupfwinkel für den Atomkrieg. Einen ausreichend gepanzerten Unterstand gibt es in Berlin für die Regierenden nicht. Neubauten sind weder finanziell noch politisch durchsetzbar, auch wenn es keine offizielle Entscheidung gegen einen Atombunker gibt.

Die ehemaligen Regierungsbunker in Berlin aus dem Zweiten Weltkrieg und der DDR entsprechen nicht den Anforderungen des Innenministers. „Die Prüfung von Anlagen im Raum Berlin hat ergeben, daß diese nicht als Ausweichsitz in Betracht kommen“, heißt es in der Antwort auf eine kleine Anfrage des SPD-Abgeordenten Hans Wallow.

Wallow hat vergeblich für den Erhalt wenigstens des Untertage- regierungssitzes Bonn und 200 damit verbundene Arbeitsplätze gekämpft. In den Marienthaler Stollen, wo die Nazis KZ-Häftlinge zum Bau von Raketentriebwerken zwangen, entstand die Anlage zu Hochzeiten des Kalten Krieges. Seitdem hat die – geheime – Finanzierung des Atombunkers die Steuerzahler nach Schätzungen der Grünen „mehr als fünf Milliarden Mark“ gekostet. Allein Unterhalt und Bewachung verschlingen im Jahr 25 Millionen. Bis 1989 simulierte ein Krisenstab von 3.000 Menschen im Zweijahresrhythmus den „V-Fall“: Das Land regieren, auch wenn draußen alles in Trümmern liegt. Der übungsbedingte Bunkerkoller gehört der Vergangenheit an. Fernmeldeanlagen und Großküchen werden abgebaut, die riesigen Treibstoffdepots geleert.

Für Wallow und den SPD-Vorsitzenden des Innenausschusses, Wilfried Penner, sind die 700 Kilometer zwischen der politischen Spitze in Berlin und ihrem Bunker in Bonn kein Argument gegen den Betrieb der „Außenstelle Marienthal“. Schließlich kündigten sich „Spannungsfälle“ früh genug an, um die Staatselite rechtzeitig nach Bonn zu fliegen. Wilfried Penner warnt davor, die Notfallplanung nur auf „Sonnenscheinzeiten“ abzustellen. Er plädiert wie der Bundesrechnungshof für das Bunkerrecycling in Berlin.

Doch damit wird es nichts werden. Alle Standorte der ehemaligen Roten Armee im Berliner Umland sind nach Angaben der „Brandenburgischen Bodengesellschaft“ in Potsdam so marode, daß an eine Nutzung als Regierungsbunker nicht zu denken ist. Die Unterstände der „strategischen Fünferkette“ der DDR im Norden Berlins sind nach dem Urteil des Bundesinnenministeriums nicht zu gebrauchen: Weder der ehemalige Regierungsbunker in Prenden, nah am SED-Regierungsviertel Wandlitz, noch der Stasi-Bunker bei Wiesenthal oder ein Unterstand bei Marienwerder entsprechen den Vorstellungen der Sicherheitsplaner. Der ehemalige Gefechtsstand des DDR-Verteidigungsministers in Harnekop (Nato-Deckname: „Erwin“) wurde 1995 mit seinen 500 Plätzen an einen Privatmann vermietet, der dort Gäste beherben wollte.

Dennoch warten laut Bunker- fan Wallow die Pläne für einen neuen Regierungsbunker bei Berlin in den Schubläden des Innenminsteriums nur auf finanziell bessere Zeiten. Es gebe „einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeit militärischer Landesverteidigung“. Nach seinen Informationen sind Beamte des Bauministeriums in den vergangenen Wochen in der ganzen Republik ausgeschwärmt, um Plätze für den „Ausweichsitz“ der Regierung zu finden – allerdings ohne Ergebnis. „In ein paar Jahren wird das wieder diskutiert“, schielt er auf die Sanierung Marienthals. Das sei günstiger als ein Neubau. Im übrigen verschweige die Regierung, daß selbst die Schließung 43 Millionen Mark koste.

Für den Bund der Steuerzahler ist ein Regierungsbunker dagegen gänzlich überflüssig, egal, ob in Bonn oder Berlin. Und der grüne Abgeordnete Manfred Such hat schon ein Konzept parat, welche Zukunft die milliardenschwere Bundesliegenschaft Marienthal haben könnte: als Farm zur Champignonzucht.