Analyse
: Staatsterrorismus

■ Der Konflikt in Chiapas eskaliert. Verantwortlich ist Mexikos Regierung

Bisher sind es 41 Verdächtige, die von der Polizei im mexikanischen Bundesstaat Chiapas wegen einer möglichen Beteiligung an dem Massaker verhört werden, bei dem am Montag in der Ortschaft Acteal 45 unbewaffnete Zivilisten ermordet worden waren. Die Toten – 21 Frauen, 9 Männer, 14 Kinder und ein Säugling – wurden am Donnerstag in einer feierlichen Zeremonie unter Leitung von Bischof Samuel Ruiz beigesetzt. Politiker aus aller Welt, darunter US-Präsident Bill Clinton und UN-Generalsekretär Kofi Annan, zeigten sich empört über das Massaker und forderten die Bestrafung der Mörder. Genau das aber ist unwahrscheinlich.

Nicht nur der zapatistische Subcomandante Marcos gab der Regierung die direkte Schuld an dem Massaker. Auch kritische Kommentatoren und das von der Diözese des Bischofs Samuel Ruiz geleitete Menschenrechtszentrum sind sich einig, daß paramilitärische Gruppen für die Bluttat verantwortlich sind, die von Mexikos Staatspartei PRI angeleitet und von Armee und Polizei unterstützt werden. Der nächste Polizeiposten befindet sich nur 200 Meter vom Ort des Überfalls entfernt – die Sicherheitskräfte griffen nicht ein.

Kommentatoren beschreiben das Massaker von Acteal als „das meistangekündigte Blutbad der jüngeren mexikanischen Geschichte“. Tatsächlich hat sich die Lage im Bezirk Chenalhó, zu dem Acteal gehört, seit Monaten zugespitzt. Immer häufiger waren paramilitärische Organisationen der PRI bewaffnet gegen echte oder vermutete Sympathisanten der Zapatistas vorgegangen. Anfang November waren gar Bischof Samuel Ruiz und sein Mitarbeiter Raúl Vera selbst nur knapp einem Attentat entgangen.

Der Dialog zwischen Regierung und Guerilla ruht seit über einem Jahr – die Zapatisten hatten kein Interesse am Weiterverhandeln, solange die Regierung selbst die wenigen bislang getroffenen Abkommen mißachtet. Seither ist die Militarisierung des Bundesstaates immer weitergegangen. Menschenrechtsbeobachter sprechen von einem „Krieg der niederen Intensität“, der unter Federführung von Armee und Großgrundbesitzern gegen die indigenen Gemeinden geführt werde. Das Massaker von Acteal zeigt, wie sehr dieser Krieg bereits eskaliert ist. Die 5.000 zusätzlichen Soldaten und Polizisten, die jetzt nach Chiapas geschickt wurden, werden schwerlich die Sicherheit der indigenen Gemeinden garantieren. Am Dienstag wurde die Armee in Chiapas in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Begründung: „Massive Truppenbewegungen der Zapatisten.“ Bernd Pickert