Alte Menschen im Heim mundtot gemacht

■ Eine Studie des Uni-Instituts für Lokale Sozialpolitik kommt zu erschreckenden Ergebnissen: Wer im Altenheim wohnt, muß oft schweigen / Beschwerden laufen ins Leere, weil keiner zuhört

Berthold M. ärgert sich über das lauwarme Essen, Katharina S. darüber, daß „die Heimleitung bestimmt, wer was eingekauft bekommt“, und Gertrud Sch. kommt mit dem ständig wechselnden Personal nicht klar. Die drei wohnen über die ganze Stadt verteilt in Alters- und Pflegeheimen, aber sie haben das gleiche Problem: Sie können ihre Kritik nicht loswerden. Denn in Bremer Altenheimen werden die BewohnerInnen nicht ernst genommen – das ist das Fazit einer Studie des Uni-Instituts für Lokale Sozialpolitik, die dieser Tage veröffentlicht wurde.

Die AutorInnen der Studie zur Qualität sozialer Dienstleistungen finden vor allem bedenklich, daß Heimleitungen wie Personal die Alten nicht als Subjekte betrachteten, sondern als Objekte, die klientelisiert und verwaltet werden müßten. In jeder zweiten der 15 untersuchten Einrichtungen – eine repräsentative Auswahl von verschieden großen Heimen konfessioneller, nichtkonfessioneller und gewerblicher Träger – gibt es für die Alten keine institutionalisierte Anlaufstelle bei Beschwerden.

„Ein Meckerkasten hat Kindergarten-Niveau“, antwortete zum Beispiel eine Heimleiterin, und weiter: Man könne „doch nicht für jeden sein Leibgericht kochen“. Der Bremer Professor und Untersuchungsleiter Rudolph Beier resümiert außerdem: Das Bild, das die Befragten von den Alten zeichneten „reicht von ernstzunehmenden NutzerInnen bis zu ,gaga'“. Gerade deshalb sei die Existenz eines regulären Beschwerdeverfahrens „eine wichtige Voraussetzung, um Vertrauen zu entwickeln“– es müsse von beiden Seiten eingehalten werden und biete so bei Konflikten zumindest „eine gewisse Gewähr für Fairneß“.

Auch bei den Heimen, die für sich in Anspruch nahmen, offizielle Beschwerdewege zu haben, beschränken sich die AnsprechpartnerInnen auf Heimleitung und Personal sowie den Heimbeirat. Der Beirat ist die gewählte oder – öfter – von der Behörde eingesetzte Vertretung der BewohnerInnen. Wie gering dessen realer Einfluß jedoch ist, zeigen die Antworten auf die Frage, wer entscheidet und kontrolliert, wie es mit dem Essen, den Arbeitszeiten oder etwa der Überschaubarkeit von Rechnungen aussieht: Der Beirat taucht hier nicht auf, obwohl er laut Heimgesetz „in Angelegenheiten des Heimbetriebes wie Unterbringung, Aufenthaltsbedingungen, Heimordnung, Verpflegung und Freizeitgestaltung“mitwirken und -gestalten soll.

„Vorherrschend“, heißt es in der Studie, „ist ein expertokratisches Verständnis von Führungsverantwortung“. Handbücher, in denen die Qualitätspolitik und -ziele der Heime festgelegt sind, fehlen in jedem zweiten Heim. Nur 40 Prozent kontrollieren das Einhalten von Standards durch Mängellisten, Dienstbesprechungen oder „ständige Dialoge“. Die Bundes-Rahmenvereinbarungen – nach dem Pflegeversicherungsgesetz verbindliche Richtlinien – waren zumindest den InterviewpartnerInnen völlig unbekannt.

Schriftlich bearbeitet wird Kritik von BewohnerInnen nur in jedem fünften Alten- und Pflegeheim. Jedes zweite führt nicht einmal eine grobe Statistik. Eine zusätzliche, neutrale behördliche Beschwerdeinstanz lehnten zwei von drei Befragten aus der Leitungsebene vehement als „Horrorvorstellung“, „ganz gefährliche Versachlichung“, „Kontrollinstanz“oder Angriff auf die „große Familie“ab. Es sei besser, die Probleme innerhalb des Hauses zu klären. „Meine Tür steht immer offen“, erklärte einer.

Anders verhält es sich mit Kritik von Angehörigen. Diese wird zu rund 70 Prozent in Beschwerdebüchern, Protokollen des Heimbeirats oder der Pflegedokumentation festgehalten. Der Bremer Professor Rudolph Bauer glaubt, das liege daran, daß „Angehörige nicht so abhängig sind und viel schneller Krach schlagen“könnten. bw