Der Mörder aus dem Rathaus

Bürgermeister in Mexiko als Organisator des Massakers verhaftet  ■ Von Bernd Pickert

Berlin (taz) – Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas sind knapp eine Woche nach dem Ermordung 45 unbewaffneter Menschen in der Ortschaft Acteal Haftbefehle gegen insgesamt 40 Verdächtige erlassen worden. Der prominenteste unter ihnen ist der Bürgermeister der Gemeinde Chenalhó, Jacinto Arias Cruz. Er soll die Tat vorbereitet, den Mördern Waffen und Fahrzeuge zur Verfügung gestellt und anschließend versucht haben, das Massaker zu vertuschen. Arias Cruz gehört der mexikanischen Staatspartei PRI an. Nach Angaben des ermittelnden Staatsanwaltes José Luis Ramos Rivera hat er inzwischen gestanden, die Waffen an die Mörder verteilt zu haben.

Noch am Freitag hatten sowohl Mexikos Innenminister Emilio Chuayffet als auch Generalstaatsanwalt Jorge Madrazo Cuéllar versucht, den politischen Hintergrund des Massakers und die Rolle der PRI herunterzuspielen. Konflikte dieser Art, sagte Chuayffet, gebe es in dem Bundesstaat „schon seit den 30er Jahren“. Es handele sich dabei, ergänzte der Staatsanwalt, um „Dorfstreitigkeiten, auch zwischen Familien, die beständig um politische und wirtschaftliche Macht konkurrieren“. Außerdem trügen religiöse Differenzen zu den Streitigkeiten bei.

Nur Stunden später verbreitete die zapatistische Guerilla (EZLN) ein Kommuniqué, in dem sie auf eigene Ermittlungen verweist. Demnach habe sich das Mordkommando in Fahrzeugen der Gemeindeverwaltung bewegt. Weiter stellt die EZLN fest: „Es handelt sich nicht um einen religiösen Konflikt, denn Mörder wie Ermordete sind katholisch.“ Vielmehr sei das Massaker als Teil der Aufstandsbekämpfung zu begreifen.

Die 30.000-Einwohner-Gemeinde Chenalhó ist gespalten. Bei den Wahlen im Oktober 1995 hatte die Guerilla zur Wahlenthaltung aufgerufen – die zu 75 Prozent befolgt wurde. Offiziell gewann dementsprechend die PRI und stellte den Bürgermeister. Die Zapatisten und die linksoppositionelle PRD errichteten daraufhin eine „autonome“ Kommunalregierung in Polhó, einer zapatistischen Ortschaft. Beide Seiten versuchten, Konflikte zu vermeiden. „Noch vor einigen Monaten,“ schreibt die EZLN in ihrer Erklärung, „hatten die offizielle und die autonome Verwaltung ein Verhältnis gegenseitigen Respekts.“

Aber schon seit 1995 hatte sich die Strategie von Regierung und der Militärs gegenüber den Zapatisten geändert. Nicht die Armee, sondern Indigenas sollten gegen Indigenas antreten, bewaffnete Organisationen wurden aufgebaut. Als Zentrum paramilitärischer Aktivitäten in Chenalhó ist Menschenrechtsorganisationen seit Monaten das Dorf Los Chorros bekannt. Von dort kamen die meisten der Angreifer, die vor einer Woche für das Massaker an 21 Frauen, 9 Männern, 14 Kindern und einen Säugling in Acteal verantwortlich zeichneten.

Unter dem Druck von Menschenrechtsorganisationen und der Kirche wurden am Wochenende – mit Hilfe der Armee! – über 300 zapatistische Sympathisanten aus Los Chorros befreit, die dort seit Monaten gegen ihren Willen festgehalten worden waren, und in neuerrichtete Flüchtlingslager nach Polhó gebracht. Dort trafen insgesamt rund 3.900 Menschen ein, die unter dem Eindruck des Massakers aus ihren Dörfern geflohen waren.