Nicht alle wollen Kanu bis zu ihrem Tod wählen

■ Die Massai zählten stets zu den treuesten Anhängern von Präsident Daniel arap Moi, denn dieser förderte den Tourismus in ihrem Siedlungsgebiet. Doch nun hat auch hier die Opposition Fuß gefaßt

Der alte Massai runzelt seine Stirn. Er sitzt auf einer Treppe an der staubigen Hauptstraße von Kajiado und schaut auf das langsam fahrende Auto. Wahlplakate sind überall auf den Wagen geklebt. Aus dem Megaphon auf dem Autodach krächzt der Aufruf, die Demokratische Partei (DP) zu wählen.

„Alles ist so verwirrt“, murmelt der alte Massai. Er heißt Simon Olesoro und kommt gerade vom örtlichen Viehmarkt, wo er einen Stier verkauft hat. „Bei den vorigen Wahlen waren hier bloß Kanu- Leute. Jetzt fahren auf der Straße Autos der Opposition auf und ab. Alle wollen, daß wir sie wählen. Ich wähle wie immer Kanu. Das habe ich früher auch so gemacht und werde es bis zu meinem Tod tun.“

Kajiado liegt im Massai-Land im südlichen Rift Valley in weiträumigen Savannen, über die seit alters her die Massai-Nomaden mit ihren Herden ziehen. Bisher gehörten die Massai, begünstigt durch die staatliche Förderung des Tourismus in ihrem Siedlungsgebiet, zu den treuesten Anhängern von Präsident Daniel arap Moi und der Regierungspartei Kanu. Nun aber hat die Opposition auch hier Fuß gefaßt.

Als der alte Simon davongeht, sagt Paul Odupoy, ein junger Massai, der ebenfalls im traditionellen roten Tuch gekleidet ist: „Nicht alle unterstützen wir Kanu. Unser Volk ist gespalten. Ich werde die Demokratische Partei wählen. Seit unserer Unabhängigkeit sind wir nur von Kanu geführt worden. Es ist Zeit für eine Änderung.“

Pauls linke Hand ruht auf seinem Schwert. An seinem rechten Handgelenk trägt er eine Swatch- Armbanduhr. Viele junge Massai leben in zwei Welten. Traditionell sieht das Nomadenvolk Führerschaft als heilig an. Die Älteren halten noch strikt daran fest. Die Jüngeren, von denen immer mehr zumindest die Grundschule absolviert haben, erfahren Traditionen als weniger wichtig.

In einem übervollen Laden sitzen drei junge Massai-Frauen auf einer hölzernen Bank und schauen Fernsehen. Sie bestaunen eine US- amerikanische Serie: Bilder aus einer fernen Welt. Zwei der drei Frauen wollen „aber selbstverständlich“ für Kanu stimmen. Die Dritte schüttelt den Kopf: „Ich wähle die Demokratische Partei. Kanu und Moi haben uns so viele schöne Versprechungen gemacht, aber wir sind noch immer arm. Ich werde meine Unzufriedheit äußern. Aber leider glaube ich, daß Moi wieder gewinnen wird.“

Auch Caroline Muenni, die Bezirksleiterin von Kajiado, glaubt fest an den Sieg der Regierungspartei. Der Schreibtisch der jungen Frau ist leer außer der aufgeschlagenen Kanu-Zeitung. „Seitdem das Grundgesetz in November in einigen Punkten geändert wurde, haben wir den ausdrücklichen Auftrag bekommen, uns nicht in den Wahlkampf einzumischen“, erklärt sie. „Nur wenn es Probleme gibt, sollen wir eingreifen.“ Ganz anders war das vor fünf Jahren. Damals hatte Kanu den Staatsapparat noch völlig in der Hand.

Jetzt reden auch andere mit. Am Rande von Kajiado steht eine moderne katholische Kirche. Hier koordiniert Ann Kukuni die Schulung der Wahlbeobachter. „Sie werden darüber unterrichtet, wie die Wahlen verlaufen sollen. Wir weisen auf bestimmte Probleme hin, wie Einschüchterungen und Unregelmäßigkeiten. Ich kann nicht sagen, ob die Wahlen dadurch ehrlich und frei sein werden, aber die Anwesenheit der Beobachter macht Schummeln jedenfalls viel schwieriger“.

In dem Städtchen Kiambu, 100 Kilometer nördlich, macht Priester Peter Kimani dieselbe Arbeit. Er hat bei der Auswahl der Beobachter zwei Kriterien angewandt. „Sie müssen lesen und schreiben können und ehrlich sein. Aufrichtigkeit ist schwer zu beurteilen. Ich habe meistens gute Christen gewählt, weil ich davon ausgehe, daß Christen ehrlich sind.“ Kiambu liegt nur 20 Kilometer von der Hauptstadt Nairobi entfernt, mitten in einem agrarischen Gebiet. Kaffeesträucher wachsen auf den grünen Hügeln. Kiambu ist eine Oppositionshochburg. Dort leben vor allem Kikuyu, die größte Ethnie in Kenia. Jomo Kenyatta, der erste Präsident des Landes, war Kikuyu. Während seiner Herrschaft 1964 bis 1978 begünstigte er sein eigenes Volk. Dann kam Moi an die Macht, und er begünstigte sein Kalenjin-Volk, so daß die Kikuyu sich bei der Einführung des Mehrparteiensystems 1990 massenhaft der Opposition anschlossen.

Im DP-Parteibüro von Kiambu sitzen fünf Männer an einem großen Tisch. Darauf liegt ein langer Computerausdruck mit den Namen von allen 69.102 registrierten Wählern. „Wir machen Kopien von dem Ausdruck und liefern diese bei den verschiedenen Wahllokalen ab. Unsere Autos fahren mit einem Megaphon umher, und wir bitten die Menschen nachzuschauen, ob ihre Namen auf der Liste stehen. Wir trauen der Wahlkommission nämlich nicht“, sagt Joseph Karanje, ein örtlicher Parteifunktionär der DP.

Er ist trotzdem davon überzeugt, daß der lokale DP-Kandidat den Wahlkreis Kiambu gewinnt. Pessimistisch ist Karanje eher über die nationalen Aussichten: Er fürchtet, daß Moi und Kanu siegen werden. Doch er weigert sich, die Ursache dafür in der Zersplitterung der Opposition zu suchen. „Es hat mit Geld zu tun. Erst macht Kanu das Volk arm und spickt die Parteikasse durch Korruption. Kurz vor den Wahlen teilt Kanu dann Geld aus und hofft, damit Wähler zu kaufen.“

Geld zu verteilen ist normal in Kenias Wahlkampf. Die Demokratische Partei in Kiambu bestreitet, dabei mitzumachen. „Was für eine Lüge!“ sagt Moses Kiarie von Safina, einer anderen Oppositionspartei. „Ich habe selbst gesehen, wie der DP-Kandidat Geld verteilte. Aber der Kanu-Mann verteilt mehr. Wir raten den Menschen immer, das Geld zu nehmen, aber unsere Partei zu wählen.“ Ilona Eveleens, Nairobi