■ In der tiefsten Krise, die Kenia seit langem erlebt, muß sich Präsident Daniel arap Moi Wahlen stellen. Zwar ist es ihm bisher stets gelungen, die Opposition klein zu halten, doch heute könnten ihm die entscheidenden Prozente fehlen.
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In der tiefsten Krise, die Kenia seit langem erlebt, muß sich Präsident Daniel arap Moi Wahlen stellen. Zwar ist es ihm bisher stets gelungen, die Opposition klein zu halten, doch heute könnten ihm die entscheidenden Prozente fehlen.

Auf dem Weg in den Ruhestand

Würde in Kenia alles mit rechten Dingen zugehen, könnte Präsident Daniel arap Moi sich heute in den glanzlosen Ruhestand begeben. Noch nie in seiner Geschichte hat Kenia so in der Krise gesteckt wie bei den heute anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Im ganzen Land grassiert Cholera – nicht nur in den Flutgebieten an der Grenze zu Somalia, sondern sogar in der Hauptstadt Nairobi. Das Gesundheitswesen des Landes liegt darnieder, denn seit einem Monat streikt das Pflegepersonal für bessere Gehälter. Im Nordosten des Landes kommt seit einer Woche eine mysteriöse neue Krankheit dazu, deren Symptome denen des Ebola-Virus ähneln und die einige hundert Todesopfer gefordert hat. Aufgrund der politischen Gewalt des Sommers ist der Tourismus, dessen Einnahmen etwa fünf Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen, zum Erliegen gekommen – nach Einnahmen von 350 Millionen Dollar (600 Millionen Mark) im letzten Jahr wird diesmal nur mit 50 Millionen Dollar gerechnet.

Ließ sich Kenia bei Präsident Mois Amtsantritt 1978 noch in einem Atemzug mit lateinamerikanischen Schwellenländern nennen, muß Moi inzwischen in Interviews Vergleiche mit Mobutus Zaire dementieren. 1989 gingen in Kenia noch fast alle Kinder zur Schule, heute nur noch 75 Prozent, mit fallender Tendenz. Die Straßen verrotten in diesem Jahr aufgrund der starken Regenfälle noch schneller als sonst, was laut Experten starke Verluste beim Tee- und Kaffee- Export befürchten läßt. Internationale Geldgeber zögern mit Krediten wegen der Korruption – der Oppositionelle Kenneth Matiba hat ausgerechnet, daß seit 1990 aus der Staatskasse 2,4 Milliarden Dollar verschwunden sind, etwa die Hälfte der Staatseinnahmen.

Als Mobutu Sese Seko im Mai dieses Jahres von Laurent Kabilas Rebellen aus Zaire verjagt wurde, galt Moi weithin als Afrikas nächster Expräsident. „Moibutu“ nannten radikale Regimegegner in Kenia ihren Präsidenten und forderten auf Massendemonstrationen Reformen, die über das 1990 eingeführte Mehrparteiensystem hinausgehen. „Keine Reformen, keine Wahlen“ lautete eine Parole des Oppositionsbündnisses NCEC („Nationales Konvention-Exekutivkomitee“) aus Politikern und Kirchenleuten, um Moi einen glatten Durchgang bei den 1997 anstehenden Wahlen zu versagen.

Doch Moi ähnelt Mobutu mehr, als es seinen Gegnern lieb sein könnte. Genauso wie der zairische Diktator durch endlose Spaltung der Opposition jahrelang seine Macht wahrte, hat Moi die kenianische Opposition immer wieder auseinanderdividiert – schon 1992 gewann er die Wahlen mit nur 36 Prozent gegen seine zerstrittenen Gegner, und dieses Jahr spaltete er das Oppositionsbündnis NCEC, indem er mit Parlamentsabgeordneten des Bündnisses Gespräche begann und die anderen Persönlichkeiten außen vor ließ. Das Ergebnis war im September eine Teilreform der Verfassung, die wesentliche Fragen auf die Zeit nach der Wahl verschob. Damit war zunächst einmal klar, daß die Wahl zu den Bedingungen der Regierung stattfinden würde.

Es half nichts, daß das NCEC am 11.November erklärte, keine Regierung anzuerkennen, die aus den Wahlen hervorgehen würde. Wie gewohnt zogen Kenias Oppositionsparteien in einen ungleichen Wahlkampf, ohne sich auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten zu Moi zu einigen. Mois „Kenianische Afrikanische Nationalunion“ (Kanu) besitzt die Mehrheit in der Wahlkommission und hat bei weitem die größten Finanzmittel. Auf den Wahlregistern stehen nur 8,9 Millionen Menschen – bei 30 Millionen Einwohnern. Während auf Wahlkreisebene die Wählerlisten einsehbar sind, ist das zentrale Wahlregister Verschlußsache.

Und doch gibt es diesmal den Hauch einer Chance, daß Moi stolpert. Jüngsten Umfragen zufolge liegt Moi in der Wählergunst bei gerade 31 Prozent, fünf Prozent weniger als 1992, und möglicherweise ein bißchen zu knapp. Denn um zu gewinnen, muß der bestplazierte Präsidentschaftskandidat in fünf der acht kenianischen Provinzen über 25 Prozent kommen. Den Umfragen zufolge sind Moi bisher nur drei Provinzen sicher – seine Heimatprovinz Rift Valley, der Nordosten und die Küste. In der Ostprovinz, der Westprovinz und im kleinen Nyanza am Viktoriasee liegt Moi bei 25 oder 24 Prozent. Wenn er hier an der 25-Prozent- Hürde scheitert, muß er in drei Wochen in eine Stichwahl. Die könnte er gegen eine dann geschlossen auftretende Opposition verlieren.

Kein Wunder, daß Mois Kanu in der letzten Phase des Wahlkampfs alle Register zieht – vor allem dort, wo eine neue Oppositionskandidatin auf sich aufmerksam macht, die nicht zur zerstrittenen alten Garde gehört: Charity Ngilu, die für die Sozialdemokratische Partei (SDP) einen Wahlkampf gegen Unterwürfigkeit und Korruption führt, während andere Oppositionelle eher auf ethnische Solidarität zielen. In den letzten Wochen steigt die Gewalt im Wahlkampf immer dort, wo die SDP Moi am gefährlichsten wird. In der Provinz Nyanza erklärte die Regierung mehrere Wahlkreise zu Sicherheitszonen, um den Wahlkampf der Opposition zu behindern. In Teilen der Ostprovinz, vor allem in Ngilus Wahlkreis Kitui Central, kaufen Kanu-Aktivisten seit einigen Tagen Leuten die Wählerkarten für umgerechnet bis zu 150 Mark ab und verbrennen sie.

Nachdem inzwischen mehrere Dutzend Menschen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen sind, rief Präsident Moi gestern in seinem letzten Zeitungsinterview des Wahlkampfes die Kenianer auf, für „Einheit“ und „Frieden“ zu wählen. Er meinte damit sich selbst. Dominic Johnson