Ein Jahr für die Seele

Psychiatriepatienten sollen aus ihren wohnortnahen Einrichtungen in eine Rehaklinik umziehen – und nach zwölf Monaten fit sein  ■ Von Lisa Schönemann

Psychisch Kranke müssen demnächst ihre Wettkampfstärke beweisen – sofern sie einen der begehrten Plätze im neuen Rehabilitationszentrum des „Freundeskreises Ochsenzoll“ergattern wollen. „Nur olympiareife Patienten werden vom medizinischen Dienst der Kassen dafür zugelassen“, kritisiert Wolfgang Kiel, Vorstandsmitglied der Hamburger Gesellschaft für soziale Psychiatrie (HGSP) und Mitglied des Arbeitskreises Gemeindepsychiatrie. Im Gegensatz zu früher müssen die Patienten ihre seelischen Leiden ab jetzt innerhalb eines Jahres besiegen.

„Die neue Reha-Fachklinik schafft keine Zwei-Klassen-Psychiatrie, sondern ein am Bedarf der Kranken ausgerichtetes Angebot“, weist der Vorstand des Freundeskreises in einer Pressemitteilung die Kritik zurück. Ab Januar sollen 30 Patienten in die Apartments des neuen Zentrums einziehen, das in einem ehemaligen Hotel untergebracht ist. Bis Ende 1998 soll sich ihre Anzahl verdoppeln.

Der Freundeskreis Ochsenzoll will so trotz allgemeinem Sparzwang und Bettenabbau – wie in Haus 12 im Klinikum Nord – einer Verschlechterung der psychiatrischen Versorgung entgegenwirken. Dem 1974 gegründeten Verein zur Hilfe für Behinderte und Alterskranke gehören neben Mitarbeitern der Ochsenzoller Psychiatrie am Klinikum Nord auch viele Angehörige psychisch Kranker an.

Fit for life ist das Ziel, das die Psychiatriepatienten in dem Reha-Haus innerhalb von zwölf Monaten erreichen sollen. Danach gibt es kein Geld mehr von der Kasse; dann heißt es: Hinaus ins feindliche Leben. Um dieses Konzept ist jetzt ein heftiger Streit zwischen dem Träger Freundeskreis Ochsenzoll und den Verfechtern der gemeindenahen Psychiatrie der HGSP entbrannt. Dabei geht es natürlich auch um Geld.

Früher haben die Krankenversicherungen Rehabilitationsmaßnahmen für psychisch Kranke rundweg abgelehnt. Nach Modellprojekten in anderen Bundesländern wurden Anfang der 90er Jahre auch in der Hansestadt sechs spezielle Reha-Plätze geschaffen. Und zwar im Wohnhaus für psychisch Kranke in der Juithornstraße. Anderthalb Jahre durften die Betroffenen mit Zustimmung der Kasse dort bleiben. Wer dann den Absprung in eine eigene Wohnung nicht schaffte, für den zahlte fürderhin das Sozialamt.

Das Modell sollte auf die psychiatrischen Einrichtungen in anderen Stadtteilen übertragen werden. Deren Träger wollten 60 Patienten eine wohnortnahe Reha-Maßnahme ermöglichen, um sie nicht aus ihrer vertrauten Umgebung zu reißen. Die Kassen lehnten die Idee der dezentralen Rehabilitation jedoch ab und gaben statt dessen dem Freundeskreis Ochsenzoll den Zuschlag für das neue „Therapiezentrum zur Rehabilitation psychisch Kranker“in Fuhlsbüttel.

Letztlich dreht sich die Auseinandersetzung der beiden Träger psychiatrischer Einrichtungen um die Frage, wie lange Standards wie die wohnortnahe Unterbringung unter dem jetzigen Kostendruck noch aufrechterhalten werden können. Obendrein wissen die Beschäftigten in der Psychiatrie nicht, wie sicher ihre Arbeitsplätze nach der beschlossenen Zentralisierung der Reha-Maßnahmen ist. „Wir werden das nicht wortlos hinnehmen“, so Wolfgang Kiel vom Arbeitskreis Gemeindepsychiatrie.