■ Zur Einkehr
: In der „Kneipe“

Die Kneipenwüste: um Radio Bremen herum hat sie ihren Ort. Wer hungernd und dürstend die Schwachhauser Heerstraße entlangstreicht, dem bleibt nichts, als sich an seinen salzigen Tränen zu laben oder mit den Straßenkötern um weggeworfene Shrimpsbrötchen zu balgen. Wer sich in dieser mißlichen Situation, nach reiflicher Überlegung, dazu durchringt, einen Besuch des nahegelegenen „Zum alten Scharnhorst“dem Suizid vorzuziehen, den erwarten bei RB 3-Beschallung unter röhrenden Hirschen und auf olivgrünen Platzdeckchen lecker Pils, Korn und Frikadellchen, deren prozentualer Fleischanteil mit der Anzahl der Gäste unter 79 Jahren korrespondiert. Einige Schritte weiter – in der Not säuft der Teufel sogar Kilkenny und frißt Chips mit Essiggeschmack – lockt der Irish Pub „Fingerhut“, dessen Öffnungszeiten allerdings kaum den Bedürfnissen normaler KneipengängerInnen angepaßt sind: Der Schuppen ist im Grunde immer zu. Aber da, wo der Lärm der Kufüallee in den Ohren dröhnt, die ARAL-Tankstelle mit blauem Licht und stinkigen Gasen die anderen Sinne traktiert und ein Friseurladen mit Preisen wirbt, der einen den hormonell bedingten Haarausfall mit ganz anderen Augen betrachten läßt – dort ist sie, die Oase namens „Die Kneipe“.

Zugegeben, ein – wie schon vor einiger Zeit hier angemerkt – nicht rasend origineller Name. Aber wo die taz am Garderobenhaken hängt, lassen wir uns gerne nieder, denn taz-LeserInnen kennen bekanntlich keine bösen Sender. Selbst die Weinkarte, die den Grünen Veltliner als frech (huch!), den Chardonnay als buttrig (würgs!) und den Pinot Grigio als erfrischend spritzig (ohlala!) ankündigt, verzeiht man da ohne weiteres. Wer die Rosette am richtigen Ort plaziert, hat gute Chancen, von nostalgischen Gefühlen durchströmt zu werden. Durch ein Kneipenfenster kann man in die Ex-WG-Küche des ergrauten Nachbarn blicken, der bei einem Gläschen Chianti DOC mit der alten Freundin vermutlich die letzte Therapiestunde analysiert. Vor der Nase brennt die weiße IKEA-Kerze „Hönbyk“, gezeichnet von Übergriffen zahlloser verhaltensgestörter Gäste, ihrem Ende entgegen. Wachsflecken auf der abgenutzten Tischplatte und Bierdeckel laden zum Knibbeln ein. Kurzum: Ein wundersamer Ort aus vergangenen Zeiten, wo das Stammpublikum in Gelassenheit an der Leberzirrhose arbeitet und bis dahin mit Nudeln, Knipp und Pesto stilecht die körperliche Hülle regeneriert. Ob dieser eingeschworene Kreis einen neuen Stammgast aufnimmt? zott

An der Gete / Ecke Kirchbachstraße, ab 19 Uhr