Brauchen wir die Affen für unsere Forschung?

■ Interview mit Prof. Gerhard Roth über Hirnforschung und Versuche mit Primaten / Der Sonderforschungsbereich Kognitionsforschung an der Bremer Uni kam durch die Berufung des Primaten-Forschers Kreiter in die Diskussion

taz: Sie haben auf einer Veranstaltung einmal gesagt: „Vielleicht ist diese Angst auch gar nicht unberechtigt.“Kann man darüber mit „vielleicht“reden?

Prof. Roth: Dieses vielleicht bezieht sich darauf, daß man in einer dynamischen Wissenschaft wie der Hirnforschung nicht völlig ausschließen kann, daß daraus auch irgendwann einmal Schlimmes entsteht. Zur Zeit sieht das eigentlich niemand so. Und das aus rein praktischen Gründen: Es hat sich herausgestellt, daß man das Gehirn, auch das Gehirn des Menschen, in sehr vielen Details untersuchen kann und viel darüber herausfinden kann, wie es funktioniert, daß man aber aufgrund der ungeheuren Komplexität des Gehirns nicht gezielt eingreifen kann – selbst wenn man das wollte. Das ist so, als wollte ich mit einem Schraubenzieher in einen Computer eingreifen.

Aber die Hirnforschung arbeitet doch gerade daran, intelligentere Werkzeuge auch für Eingriffe zu finden.

Eingriffe eigentlich nicht. Die Befürchtung, man könne gezielt intelligentere Gehirne herstellen oder den freien Willen manipulieren, in Gehirne eingreifen, damit die Menschen das tun, was man will – das alles ist völlig außer Reichweite.

Es gibt aber Glücksdrogen.

Naja, aber wie die wirken, weiß man nicht genau. Man weiß nur, daß sie wirken. Das sind zudem völlig ungezielte Eingriffe, damit wird niemand intelligenter, und niemand tut, was wir wollen. Man fühlt sich nur glücklich, das tut man aber nach einem Glas Wein auch. Was man befürchtet, ist, daß Menschen tief in die kognitiven Funktionen des Gehirns eingreifen können. Daß ich Ihr Gehirn so manipuliere, daß Sie so denken, wie ich will. Da man aber noch überhaupt nicht weiß, wie Denken funktioniert und was Intelligenz ist – das kann man bedauern, daß man das nicht weiß ...

Sie sagen auch: Noch, noch nicht weiß.

Es ist natürlich außerordentlich wichtig herauszufinden, wie Intelligenz funktioniert. Da man das aber nicht weiß, kann man auch nicht eingreifen, selbst wenn man es wollte. Selbst wenn man es herausbekäme, halte ich eine Eingriffsmöglichkeit aus verschiedenen Gründen für extrem unwahrscheinlich.

Immerhin gibt es inzwischen Glücksdrogen, die kein Risiko des Horrortrips mehr haben.

Es gibt einige wenige Stoffe in unserem Gehirn, die diese allgemeinen Traurigkeits- und Glücksgefühle steuern. Das ist ziemlich simple Neurochemie. Wenn man diese Stoffe nimmt oder Pillen, die diese Stoffe ersetzen, dann ist man vorübergehend glücklich. Das Interessante für unser Thema ist. daß dieses Glück nicht anhält. Die Leute müssen in kurzer Zeit immer mehr nehmen, nach kurzer Zeit nehmen sie die Stoffe nur noch, um das extreme Unglücksgefühl, das beim Entzug entsteht, nicht mehr zu haben. Das ist sehr genau untersucht worden. Das Fatale an den Drogen ist, daß diese Stoffe das Gehirn für etwas belohnen, das es garnicht getan hat. Die normalen Glücksstoffe, die Endorphine, werden normalerweise in geringen Mengen nur dann ausgeschüttet, wenn das Gedächtnis einschließlich des limbischen Systems mir sagen will: Das war gut, das hast du gut gemacht. Da wird durch den kurzzeitigen Ausstoß von Glücksstoffen ein Akzent gesetzt. Das merkt sich das Gehirn, das Gehirn konditioniert sich darauf. Etwas Ähnliches passiert übrigens bei Parkinson-Patienten: Da ist ein bestimmter Stoff, Dopamin, in zu geringen Mengen vorhanden. Das Gehirn glaubt aber, es sei genug davon vorhanden. Das ist das Problem. Jetzt gibt man eine Vorstufe, das L-Dopa. Diesen Stoff verstoffwechselt das Gehirn zu Dopamin. Das Gehirn stellt fest: Ich habe viel zu viel Dopamin produziert! Und reduziert die eigene Produktion – der Bedarf an dem Zusatzmittel erhöht sich. Diese Grundtatsache gilt genauso bei Drogen.

Können Sie als Philosoph noch über Glück reden, wenn Sie als Neurobiologe soviel darüber wissen?

Das kann man völlig trennen. Die Wirkungsweisen sind neurochemisch erklärbar. Ich kann aber nicht erklären, warum die einen bei einer Fuge von Bach Glücksgefühle haben und die anderen, sage ich einmal, bei irgendeinem Gedudel. Ich kann aber erklären, warum negative Ereignisse stärker wirken als positive und warum Glück nur kurzfristig ist. Eine fundamentale Tatsache, die alle Philosophen beschäftigt hat, Glück ist kurz und Schmerz ist lang.

Wie erklärt sich das neurobiologisch?

Unser Gehirn bewertet negative Ereignisse sehr viel stärker als positive. Die Vermeidung negativer Ereignisse ist biologisch sehr viel wichtiger als die Belohnung positiver. Wenn man Tiere mit Strafe bedroht, kann man sie sehr viel schneller konditionieren als wenn man sie belohnt.

Das hat chemische Ursachen?

Die Warnstoffe wirken heftiger und längerfristig. Glücksgefühle wirken dagegen neurochemisch kurz. Wir gewöhnen uns an kaum etwas so schnell wie an angenehme Dinge. Die Trivialität, daß andauerndes Glück nicht möglich ist, hängt schlicht damit zusammen, daß das Gehirn biochemisch immer mehr Glück will.

Das ist für die Pädagogik eine furchtbare Erkenntnis.

Das würde ich in der Tat sagen. Unabhängig von furchtbaren Hirnmanipulation-Visionen, die auch gar nicht anstehen in den nächsten 20, 30 Jahren, sind Erkenntnisse, die wir aus der jetzigen Hirnforschung im Zusammenhang mit der Lernpsychologie und der Persönlichkeitspsychologie gewinnen, von größten Auswirkungen für Didaktik, Pädagogik. Da wird sich eine Revolution ergeben.

Der alte Lehrstock muß wieder eingeführt werden?

Nein. Das Androhen von Strafe ist zwar sehr viel wirksamer als das Versprechen einer Belohnung, aber die Schüler und Studenten geraten dadurch in eine kognitive Phase hinein, in der sie nicht mehr lernen. Das Angst-Androhen blockiert das Lernen. Wenn man will, daß die Schüler mucksmäuschenstill da sitzen, dann ist das Androhen von Strafe ein wirksameres Mittel als jede positive Konditionierung. Furcht und Angst blockieren aber Lernen. Dasselbe Androhen blockiert auf neurochemische Weise jede kognitive Kreativität. Die kann man nur positiv motivieren, wenn die Motivation auch nur kurz dauert. Man muß immer anders und neu motivieren. Warum sich das erschöpft, kann man erklären.

Wir müssen auch über die Affen reden. Warum braucht man sie?

Das liegt auf der Hand. Dieses Lernen gibt es in der Weise bei Salamandern und Fröschen nicht. Die Freude am Lernen gibt es nur bei Primaten. Wenn ich verstehen will, kann ich das nur an Menschen untersuchen – oder ich mache Versuche an Primaten. Wir könnten nur sagen: Wir verzichten darauf, das wissen zu wollen. Zehn Prozent unserer Bevölkerung leiden an schweren psychotischen und neurologischen Krankheiten. Ich bin nicht dafür, darauf zu verzichten, nach Methoden zu suchen, um diesen Menschen zu helfen.

Sie haben mit eigenen Forschungen bei Salamandern gerade erste Erfolg gehabt.

Es gab kürzlich einen Artikel in der Zeitschrift Nature von uns. Wir haben den Trick herausbekommen, mit dem diese Tiere ihre Zunge über ihre eigene Körperlänge hinaus schleudern können. Die Körperlänge ist etwa zehn Zentimeter, das Zungenskelett ist vielleicht sechs Zentimeter lang. Das Tier kann die Muskeln, die die Zunge umgeben, mit hinausschleudern. Ein absolut einmaliger Trick.

Was helfen mir solche Forschungen bei dem Versuch, das menschliche Gehirn zu begreifen?

Das Erstaunliche bei diesem scheinbar ganz einfachen Wirbeltiergehirn ist, daß der Grundbauplan dieser Gehirne sich kaum geändert hat. Salamander haben eine Million und nicht eine Billion Nervenzellen wie Menschen. Die sind aber fast in derselben Weise aufgebaut wie das menschliche Gehirn. Die Grundverdrahtung und auch viele Details sind dieselben. Man kann an diesen Tieren untersuchen, wie Objektwahrnehmung funktioniert oder Selbstbewertung des eigenen Verhaltens. Man kann also in der Nußschale bestimmte Leistungen unseres Gehirns studieren. Diese Tiere lernen zum Beispiel, was gut oder schlecht schmeckt.

Was empfindet ein Salamander, wenn er eine Fliege fängt mit seiner Zunge?

Ich hoffe, Spaß.

Aber das wissen Sie noch nicht?

Nein. Aber das weiß ich von Ihnen auch nicht. Ich kann nur feststellen: Die limbischen Strukturen, die das bei uns bewerkstelligen, sind auch bei den Salamandern vorhanden, mit denselben neurochemischen Merkmalen wie bei uns. Frösche und Salamander lernen mit dem ersten Versuch, daß es nicht gut ist, nach einer Biene oder einer Wespe zu schnappen. Dasselbe passiert in einem menschlichen Gehirn, wenn ein Kind eine heiße Herdplatte anfaßt. Weshalb diese Wirbeltiergehirne so unglaublich ähnlich sind, weiß niemand genau. Aber das gibt uns die Möglichkeit, an einfachen Gehirnen Dinge zu untersuchen, die für das Verständnis unserer Gehirne wichtig sind.

Was haben Sie an den Salamandern rausgekriegt?

In den letzten Jahren haben wir an den Schleuderzungen-Salamandern untersucht, wie Objekte erkannt werden. Das spielt in der Robotnik eine große Rolle.

Nun soll um das herum, was an Ihrem Fachbereich seit Jahren passiert in der Hirnforschung, ein Sonderforschungsbereich aufgebaut werden.

Ist ja schon. Seit zwei Jahren. Wir haben an der Uni das Zentrum für Kognitionswissenschaften, Teile davon gehören zu dem Sonderforschungsbereich, dazu kommen Kollegen aus Oldenburg. Bald werden es mehr als 200 Wissenschaftler sein. Aber es wird nur einen Hochschullehrer geben, der mit Affen arbeitet. Auch der Neuropharmakologe, dessen Stelle gerade ausgeschrieben wird, wird nicht mit Affen arbeiten. Wir haben 1988 angefangen, dieses Institut aufzubauen und Wert darauf gelegt, daß nur Kollegen dazukommen, die zusammenarbeiten wollen. Wir wollen die neurobiologischen Grundlagen kognitiver Wahrnehmungen verstehen lernen – bis hin zum Lernen im didaktischen Bereich. Die Didaktiker untersuchen im Kontext unseres Forschungsprogramms, wie Schüler lernen. Wie lernt ein Schüler? Was geht in seinem Gehirn vor sich? Warum lernt er manches schnell, anders mühsam?

Warum ist Latein so mühsam?

Das, was junge Menschen brennend interessiert, wird blitzschnell gelernt. Dafür sind neurobiologische Substanzen verantwortlich.

Wenn man diese Stoffe vor der Lateinstunde hinzufügen könnte, dann würden Schüler auch Latein schnell lernen?

Das geht eben nicht!

Schade.

Das haben Sie gesagt. Die Lernpille kann es nicht geben. Diese Netzwerke müssen sich extrem spezifisch verändern. Wenn ich Ihnen eine Lernpille geben würde, würden Sie alles intensiv wahrnehmen und „lernen“, was um Sie herum passiert. Auch das Nebensächliche. Ein guter Lehrer muß eine gezielte Motivation erzeugen. Neurophysiologisch betrachtet werden Neuromodulatoren an ganz bestimmten Stellen des Netzwerkes ausgeschüttet, die gerade für diesen Inhalt zuständig sind.

Wenn man diese Stellen kennt, könnte man das unterstützen ...

Das klappt leider nicht. Wenn das möglich sein wird, dann werden wir schwere Krankheiten heilen können. Gleichzeitig würde dies gezielte Eingriffe ins Gehirn in böser Absicht erlauben. Die Instrumente, die so segensreich wirken können, bergen auch eine Gefahr in sich. Aber wenn wir dieses Risiko nicht eingehen, wird es nicht möglich sein, Patienten mit schweren kognitiven Störungen zu helfen. Oder, wenn die Gesellschaft das will, Lernschwachen zu helfen.

Beides liegt in weiter Zukunft.

In ganz weiter Zukunft. 20, 30, 40 Jahre. Ich würde drei Nobelpreise bekommen, wenn ich sagen würde: Ich weiß, wie es gehen könnte.

Fragen: Klaus Wolschner